OLD Caption: Andrea Grüniger hat an der Studie zu der Abwärme bei Rechenzentren mitgearbeitet.
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Daten verarbeiten und speichern braucht viel Strom. Wer schon einmal in einem Serverraum gestanden ist, weiss, dass es dort recht warm werden kann. Grundsätzlich fällt der gesamte Strom, der in einem Rechenzentrum verbraucht wird, als Abwärme an. Eine Studie im Auftrag von EnergieSchweiz, dem Programm für Energieeffizienz und erneuerbare Energien des Bundesamts für Energie, zeigt: Ein grosser Teil der Abwärme könnte «wiederverwertet» werden. Entweder fürs Heizen von Gebäuden und fürs Warmwasser oder für gewerbliche oder industrielle Prozesse.

3.6% des Schweizer Stromverbrauchs gehen auf das Konto der Rechenzentren. In absoluten Zahlen sind es 2.1 TWh, wie eine Studie des Bundesamts für Energie von 2019 schätzt. Und in Zukunft könnte es noch mehr werden. Zudem: Ein Rechenzentrum arbeitet rund um die Uhr, verbraucht also rund um die Uhr Strom, und die Abwärme fällt auf einem konstanten Niveau an. Für potenzielle Abnehmer ist dies eine sichere Wärmequelle. Ausserdem gilt diese Energie als CO2-neutral und leistet damit einen Beitrag zur Reduktion des Primärenergieverbrauchs.

In den letzten Jahren sind in der Schweiz zahlreiche neue Rechenzentren gebaut worden – vorab im Raum Zürich und in der Region Genfersee. Der Grund: Zahlreiche IT-Prozesse werden in Clouds ausgelagert und die Datenmengen verlagern sich zunehmend in die grossen Rechenzentren der Dienstleister. Die Schweiz gilt als attraktiver Standort für kommerzielle Anbieter. Neue Rechenzentren werden zudem hinsichtlich Leistung und Fläche fünf– bis zehnmal grösser geplant als früher.

Damit steigt aber auch der Strombedarf. Schätzungen rechnen mit bis zu 3.5 TWh im Jahr 2026. Mehr Rechenzentren heisst gleichzeitig auch mehr Abwärme, die genutzt werden könnte. Doch aktuell wird das Potenzial noch wenig ausgeschöpft. Um die Abwärme nutzbar zu machen, muss sie mit vertretbarem Aufwand ausgekoppelt werden können. Derzeit wird die anfallende Abwärme mittels Rückkühler oft ungenutzt an die Aussenluft abgegeben.

Die Studie «Abwärmenutzung von Rechenzentren» untersuchte, wie die Nutzung der Abwärme gesteigert werden kann.

Gemäss der Studie zum Stromverbrauch und Effizienzpotenzial von Rechenzentren haben im Jahr 2019 35 Prozent der Rechenzentren die Abwärme genutzt.

Eines davon ist das Rechenzentrum der Swisscom im Berner Wankdorf-Quartier, das 2015 vom Bundesamt für Energie mit dem Watt d’Or ausgezeichnet wurde. Die Abwärme dieses Rechenzentrums wird ins Fernwärmenetz der Stadt Bern geleitet und heizt Wohngebäude in der Nachbarschaft.

Energeiaplus hat bei Andrea Grüniger nachgefragt. Sie ist Senior Projektleiterin bei eicher+pauli und hat an der Studie mitgearbeitet.

Energeiaplus: Das Potenzial der auskoppelbaren Abwärme bei Rechenzentren könnte mittelfristig rund 2 bis 2.6 TWh erreichen. Ist das viel?

Andrea Grüniger hat an der Studie zu der Abwärme bei Rechenzentren mitgearbeitet.

Andrea Grüniger: Wenn man bedenkt, dass diese Energiemenge ausreichen würde, um alle Privathaushalte von Bern und Genf zusammen mit Raumwärme und Warmwasser zu versorgen, ist das schon sehr viel. Spätestens seit der Ukrainekrise und der drohenden Energiemangellage ist allen bewusst, dass wir sorgfältig mit Energie umgehen müssen.

Daher ist die Nutzung von Abwärme, also die Mehrfachnutzung von Energie, eine sehr sinnvolle Sache, da damit Energie eingespart und ganz nebenbei noch CO2-Emissionen reduziert werden.

Rechenzentren boomen. Das Potenzial steigt also noch.

Der Trend zeigt wegen der zunehmenden Digitalisierung und dem Einsatz von rechenintensiven Prozessen, wie z.B. künstlicher Intelligenz, definitiv aufwärts. Zudem ist die Schweiz aufgrund ihrer politischen Stabilität und weiterer Faktoren beliebt als Standort für Rechenzentren.

Es muss jedoch auch beachtet werden, dass der Markt der Rechenzentren bezüglich Wachstum und auch internationaler Standortwahl sehr volatil sein kann, womit einer Prognose des Abwärmepotentials eine gewisse Unsicherheit anhaftet.

Warum wird die Abwärme bei Rechenzentren heutzutage noch wenig genutzt?

Um Abwärme zu nutzen, braucht es geeignete Abnehmer und diese müssen in der Nähe des Rechenzentrums lokalisiert sein. Wärme ist deutlich schwieriger beziehungsweise teurer zu transportieren als zum Beispiel Strom. Wenn die Abnehmer nicht intern oder in unmittelbarer Nähe sind, müssen thermische Netze gebaut werden und in der Regel muss das Temperaturniveau der Abwärme noch mit einer Wärmepumpe angehoben werden, damit es zu Heizzwecken verwendet werden kann. Um die Abwärme überhaupt nutzbar zu machen, braucht es also ziemlich hohe Investitionen.

Zudem ist der Aufbau thermischer Netze, welcher eng mit der Abwärmenutzung verknüpft ist, eine komplexe Angelegenheit. Es muss zwischen diversen Akteuren wie potenziellen Kunden, Grundstückbesitzern für die Durchleitung, Gemeinden, Betreiber der Rechenzentren etc. koordiniert werden. In der Regel investieren Energieversorger in thermische Netze. Bisher war der ökonomische Anreiz schlicht nicht da, um den Aufwand und die Risiken zu rechtfertigen. Das wird sich mit steigenden Energietarifen und mangelnden erneuerbaren Alternativen ändern.

Haben Betreiber von Rechenzentren überhaupt ein Interesse, die Abwärme zu nutzen? Der Verkauf von Abwärme könnte ja auch ein Business-Modell sein für einen Rechenzentrum-Dienstleister.

Das primäre Interesse eines Rechenzentrums ist es, selbst möglichst effizient zu sein, also wenig Strom zu verbrauchen und somit wenig Abwärme zu generieren. Bisher wird die Abwärme meist gratis zur Verfügung gestellt. Ein kleiner finanzieller Nutzen ergibt sich daraus, dass für die Rückkühlung weniger Strom benötigt wird. Aber ein Business-Modell wird es nie werden. Die Motivation liegt eher in der Erfüllung der internen Nachhaltigkeitsziele und deren Kommunikation. Firmen stehen in dieser Hinsicht generell unter einem erhöhten Beobachtungsdruck.

Wo sehen Sie die grössten Schwierigkeiten/Hemmnisse?

Nehmen wir einmal an, es sind genügend potenzielle Abnehmer in der Nähe vorhanden und der Standort ist somit geeignet: Dann sind es vor allem die hohen Investitionskosten für Energiezentralen und Wärmenetze verbunden mit der Unsicherheit zur Dauer der Abwärmelieferung, welche in der Kombination ein Totschlagkriterium sein können. Zudem sind auch die Prognose zum zukünftigen Wärmeabsatz und die komplexe Projektierung von Wärmeverbünden mit zahlreichen Schnittstellen zu verschiedenen Akteuren Faktoren, welche sich hemmend auswirken.

Das Rechenzentrum arbeitet rund um die Uhr, also fällt auch die Abwärme rund um die Uhr an. Die Heizung läuft aber nur im Winter. Wer sind die idealen Abnehmer?

Wenn schon in die Abwärmenutzung investiert wird, ist natürlich auch anzustreben, diese ganzjährig zu nutzen. Dafür sind zum Beispiel Industriebetriebe ideal, die einen ganzjährigen Prozesswärmebedarf haben. Oder die Abwärme wird in einen grösseren Verbund mit einer oder mehreren weiteren Wärmequellen eingebunden. So kann mit der Abwärme der ganzjährige Warmwasserbedarf und ein Teil des Heizwärmebedarfs gedeckt werden und im Winter übernimmt beispielsweise ein Pelletkessel den zusätzlichen Bedarf. Generell ist ein Rechenzentrum aufgrund der konstanten Last sicherlich am besten dazu geeignet, die Grundlast eines thermischen Netzes abzudecken.

Es gibt firmeninterne Rechenzentren, beispielsweise bei Banken oder Versicherungen. KMU verfügen über eigene Serverräume. Und dann sind in den letzten Jahren grosse Rechenzentrum-Dienstleister dazugekommen. Macht die Nutzung in jedem Fall Sinn?

Ökologisch macht es in jedem Fall Sinn, die überschüssige Abwärme wenn immer möglich zu nutzen. Bei internen Serverräumen ist zuerst einmal dafür zu sorgen, dass die Wärme intern, zur Beheizung der eigenen Büros oder von benachbarten Gebäuden verwendet werden kann. Das lohnt sich finanziell praktisch immer. Darüber hinaus ist es aber schon so, dass es eine gewisse Grösse des Rechenzentrums und damit verbunden eine bestimmte Abwärmeleistung braucht, damit sich der Aufwand für eine externe Verwendung lohnt. Realistischerweise ist das vor allem bei den grösseren Rechenzentren mit Leistungen im Megawattbereich sinnvoll.

Wo braucht es am meisten Überzeugungsarbeit, dass das Potenzial auch ausgeschöpft wird?

Das Thema Abwärmenutzung ist eng gekoppelt mit dem Thema thermische Netze. Es braucht sie, um die Abwärme überhaupt nutzen zu können. Folglich muss vor allem auf politischer Ebene Überzeugungsarbeit geleistet werden, damit sich die Rahmenbedingungen zum Bau thermischer Netze verbessern.

Welche Rolle können Gemeinden spielen? Sie erteilen ja die Baubewilligung für ein neues Rechenzentrum.

Die Gemeinden haben im Rahmen des Bewilligungsverfahrens durchaus Einflussmöglichkeit und könnten Auflagen machen, jedoch möchte man natürlich die Standortattraktivität dadurch nicht gefährden. Daher haben sie eher eine koordinative und sensibilisierende Aufgabe. Sie sollten z.B. in der kommunalen Energieplanung Abwärmequellen aufnehmen und zwischen Akteuren wie Energieversorger und möglichen Schlüsselkunden vermitteln. Viele sind sich bisher ihrer Rolle in dieser Hinsicht gar nicht bewusst, und viele haben auch nicht das Knowhow oder die Mittel dazu. Da muss man realistisch sein und darf den Gemeinden nicht zu viel aufbürden. Aber eine Sensibilisierung ist durchaus angezeigt. Die grösseren Hebel sehen wir allerdings bei Bund und Kantonen.

Das heisst?

Zum Beispiel indem die energierechtlichen Vorschriften auf kantonaler Ebene dahingehend ergänzt werden, dass ab einer bestimmten Abwärmemenge, die in einem Gebäude anfällt und nicht intern genutzt werden kann, diese auch externen Abnehmern zu Gestehungskosten zur Verfügung gestellt werden muss. Dies ist eine allgemeine Formulierung, die nicht nur Rechenzentren betrifft. Es würde dazu führen, dass die Abwärme abgegeben werden muss, sofern Interesse vorhanden ist. Einheitliche Rahmenbedingungen im Baubewilligungsverfahren würden zudem insbesondere kleineren Gemeinden bei der Prüfung von Baugesuchen helfen. Ein verpflichtender Nachweis zur Abklärung zur Abwärmenutzung beispielsweise könnte schon etwas bringen im Sinne einer Sensibilisierung auf beiden Seiten (Gemeinde und Rechenzentrum bzw. Industriebetrieb).

Stichwort Versorgungssicherheit mit Wärme: Vergleicht man den Lebenszyklus eines Rechenzentrums von 10 bis 15 Jahren und jenen von Wärmenetzen von 30 bis 40 Jahren, stellt sich die Frage, wie lange man auf die Abwärme vom Rechenzentrum zählen kann.

Die unterschiedlichen Lebenszyklen sind in der Tat ein Kernproblem. Das ist übrigens nicht nur ein spezifisches Problem der Rechenzentren, sondern gilt generell bei der Nutzung von industrieller Abwärme. Der Energieversorger möchte angesichts der hohen Investitionskosten eine möglichst lange Verfügbarkeit der Wärmequelle. Das Rechenzentrum hingegen stellt die Abwärme günstig oder gratis zur Verfügung, möchte sich aber zu nichts verpflichten. Diese gegenläufigen Interessen sind nicht wegzudiskutieren. Jedoch ist es auch so, dass durch einen allfälligen Wegfall eines Rechenzentrums als Wärmequelle das thermische Netz nicht plötzlich wertlos wird.

Welche Lösungsansätze sieht Ihre Studie, um das Risiko zu minimieren, dass plötzlich keine Wärme mehr geliefert wird?

Die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage zur Risikoabsicherung für thermische Netze, welche unter anderem den unerwarteten Wegfall einer Energiequelle abdecken würde, ist im Rahmen der Revision des CO2-Gesetzes aktuell in Diskussion. Dies wäre immens wichtig, um den Ausbau thermischer Netze und somit auch die Nutzung von Abwärme generell voranzutreiben. Es würde die Entscheidung für eine Abwärmenutzung definitiv fördern.

Eine andere Möglichkeit sind private Versicherungslösungen, wobei es hier keine Standardprodukte gibt. Trotzdem ist es für Investoren beziehungsweise Energieversorger unumgänglich, eine Risikoanalyse durchzuführen und alternative Energiequellen zu prüfen, welche bei Ausfall der Abwärme eingesetzt werden könnten.

Ihr Schlussfazit?

Es ist sicher wichtig, dass eine Sensibilisierung bezüglich Abwärme von Rechenzentren und deren Potenzial stattfindet. Denn dies führt dazu, dass bei der Energieplanung die Rechenzentren auch als potenzielle Abwärmequellen aufgenommen werden. Für das Gelingen der Energiewende ist es unabdingbar, die nach Umsetzung aller Effizienzmassnahmen anfallende, nicht vermeidbare Abwärme möglichst gut zu nutzen.

Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Bild: Eicher+Pauli, Rechenzentrum Swisscom, Bern-Wankdorf (mit Abwärmenutzung)

 

 

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OLD Caption: Jean-Christophe Füeg vertrat die Schweizer Energiethemen im Ausland. Bild: BFE
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Stromabkommen, IEA, internationale und EU-Energiepolitik: Wenn es um internationale Aspekte der Schweizer Energiepolitik geht, dann weiss Jean-Christophe Füeg Bescheid. Als Leiter Internationales im Bundesamt für Energie hat er die Schweiz in zahlreichen Gremien vertreten. Ende 2013 wurde er zum Botschafter ernannt. Nun wird Jean-Christophe Füeg pensioniert. Energeiaplus schaut mit ihm auf seine Zeit als BFE-Energiebotschafter zurück.

Energeiaplus: Sie sind 2001 zum BFE gekommen. Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Dossier?

Jean-Christophe Füeg vertrat die Schweizer Energiethemen im Ausland. Bild: BFE

Jean-Christophe Füeg: Durchaus. Ich musste ein Referat zur Schweizer Energiepolitik in Brüssel vorbereiten. Da ich aus dem Ausland kam und wenig über die Schweiz wusste, sagte mir mein Chef, ich solle mir Zeit nehmen. Nach zwei Wochen legte ich ihm die Powerpoint-Präsentation vor. Er schreckte auf und meinte: Mit «Zeit nehmen» habe er sich zwei Monate vorgestellt. Wenige Monate später durfte ich zusätzliche Aufgaben von intern freigewordenen Stellen übernehmen und wurde unter anderem als Referent nach Armenien, ans George Marshall Center für Sicherheitsstudien und nach Bolivien eingeladen (diese Reisen habe ich übrigens mit Flugmeilen aus meinem früheren Job bezahlt).

Gut 20 Jahre waren Sie Leiter Internationales im BFE. Was sind die grössten Veränderungen, die Sie erlebt haben?

Eindeutig die fortschreitende weltweite Energiewende und die damit einhergehende Komplexität. 2002 konnten die westlichen Länder beim Welt-Nachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg nicht einmal ein «Erneuerbaren-Ziel» festschreiben. Heute ist das eine Selbstverständlichkeit.

Was macht der Leiter Internationales denn genau?

Er vermittelt im Ausland die Schweizer Energiepolitik, vertritt die Schweiz in internationalen Gremien und verhandelt mit der EU oder einzelnen Ländern. Und er leitet Energiedialoge mit einer leider immer kleineren Anzahl Länder. Unter Bundesrätin Leuthard hatte die Cleantech-Exportförderung mit unzähligen Delegationsreisen einen hohen Stellenwert.

Was war das schwierigste Dossier in Ihrer Berufskarriere? Das Stromabkommen, das die Schweiz mit der EU anstrebt? Auf youtube finden sich Videos, in denen Sie den Standpunkt der Schweiz darlegen.

Schwierig war das Stromabkommen an und für sich nicht. Doch gewisse Interessengruppen haben es schwierig gemacht, indem sie ständig mit unerfüllbaren Sonderwünschen aufwarteten und nicht begreifen wollten, dass die Schweiz in Europa nicht einzigartig ist. Bis 2012 hätte das Stromabkommen mit etwas Kompromisswillen abgeschlossen werden können. Als die EU das Stromabkommen an institutionelle Lösungen (institutionelles Rahmenabkommen) knüpfte, wurde das Stromabkommen in Geiselhaft genommen. Seit der letzten Verhandlungsrunde im Juli 2018 ging es vor allem um Schadensbegrenzung. 15 Jahre Verhandlungen ohne Abschluss sind eine ungeheure Verschwendung.

In einem Artikel der «Finanz und Wirtschaft» vom Juni 2019 werden Sie zitiert. «Wir könnten das Stromabkommen innert zwei Tagen fertig verhandeln.» Ein Abschluss des Stromabkommens war damals aber nicht in Sicht. Wie gehen Sie mit solchen Erfahrungen um?

«Nicht in Sicht» würde ich mit Blick auf die jüngsten Entscheide des Bundesrats  relativieren. Manchmal kann es intellektuell stimulierend sein, tagelang zu recherchieren, um irgendwo in Europa einen Tatbestand zu finden, der als Argument für eine Schweizer Extrawurst herhalten könnte. Aber irgendwann erlahmen auch solche Anreize, da letztlich dafür kaum Erfolgschancen bestehen.

Ein wichtiger Akteur, mit dem Sie oft zu tun hatten, war die Internationale Energieagentur (IEA). Die IEA bewertet regelmässig die Energiepolitik von Mitgliedsländern im Rahmen der sogenannten Tiefenprüfung. Dabei wurde auch schon Kritik laut, es handle sich dabei um einen Werbespot für die nationale Energiepolitik. Was sagen Sie dazu? Erst letztes Jahr haben die internationalen ExpertInnen die Schweiz ja erneut unter die Lupe genommen.

Die Resultate der neuen Tiefenprüfung der Schweiz wurde am Tag nach dem Klimagesetz-Referendum bei der IEA besprochen und rief viele Fragen anderer Staaten hervor. Im Spätsommer wird diese durch Bundesrat Rösti und IEA-Exekutivdirektor Birol veröffentlicht. Tiefenprüfungen sind ein Wechselspiel zwischen dem untersuchten Land und den besuchenden Experten. Ein Werbespot sind sie indes nicht. So beanstandet die IEA seit Jahrzehnten, dass Brennstoffe in der Schweiz mit einer CO2-Abgabe belegt werden, Treibstoffe (Benzin und Diesel) aber weitgehend ungeschoren davonkommen.

Inwiefern haben Ereignisse wie Fukushima oder der Ukraine-Krieg Ihre Tätigkeit beeinflusst?

Fukushima wirkte sich vor allem im Inland aus – mit dem Entscheid zum schrittweisen Atomausstieg.  Nur Deutschland traf einen ähnlichen Entscheid. Ansonsten hinterliess Fukushima in der internationalen Energiepolitik wenig Spuren. Ganz anders bei der Ukraine-Krise und den immer noch laufenden Bestrebungen, die Schweiz vertraglich in der europäischen Gaslandschaft abzusichern, mit bis anhin durchwachsenen Ergebnissen.

Ende 2013 hat der Bundesrat Sie zum Botschafter ernannt. Welchen Einfluss hatte dies auf Ihre Tätigkeit?

In Europa, null, denn man kennt sich; oder es kann sogar das Gegenteil bewirken, bei Gesprächspartnern, die man noch nicht kennt und die  hinter dem Titel einen fachlich wenig beschlagenen Diplomaten vermuten. Ausserhalb Europas imponiert der Titel, manchmal dermassen, dass sogar langjährige Kollegen in Afrika sich weigerten, mich weiter zu duzen.

In Ihrem Editorial für das BFE-Magazin energeia haben Sie 2016 geschrieben: «Die Schweiz hat einen schwierigen Stand in der internationalen Energiepolitik.» Würden Sie das heute auch noch so sagen?

Die Isolation der Schweiz hat sich mit der fortschreitenden Integration in Europa und der Pandemie bedeutend verstärkt. Einzig im Pentaforum (Im Penta-Forum arbeiten die Energieministerien aus folgenden Ländern freiwillig zusammen: Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Österreich und der Schweiz und diskutieren Stromthemen und auch weitere Energiethemen wie Wasserstoff) werden wir noch als ebenbürtiger Partner wahrgenommen.

Zur Person:

Die BFE-Laufbahn von Jean-Christophe Füeg begann 2001. Er führte Verhandlungen mit der EU und internationalen Organisationen wie der Internationalen Energieagentur (IEA), der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) oder der UNO-Unter-Organisation Wirtschaftskommission für Europa. Er war zudem Leiter von Experten-Gremien zur Beurteilung der Energiepolitik von verschiedenen Ländern wie Indien, Indonesien, Chile, Kanada, Russland, Estland, Türkei, Kroatien, Mazedonien oder Mongolei.

Zuvor – von 1999 bis 2001 – war Füeg Leiter (Administrator) der Abteilung der Nicht-Mitgliedsorganisationen der IEA in Paris. Von 1998  bis 1999 war er Co-CEO von IHS Energy/Petrolconsultants Group für Öl und Gas. Von 1985 bis 1996 hatte er verschiedene Positionen im Bereich Erdölberatung in der ehemaligen Sowjetunion, Angola, Italien und Indonesien. Jean-Christophe Füeg hat ursprünglich Internationale Beziehungen, Russisch und Kunstgeschichte in Genf studiert.

Argumente wie «Die Schweiz als Stromdrehscheibe Europas» sind indes längst verpufft. Die Nordsee mit ihrem Windkraft- und Wasserstoff-Hub ist längst ein grösserer Faktor.  Man lächelt uns freundlich zu, aber wir werden kaum noch als Teil einer energiepolitischen Schicksalsgemeinschaft wahrgenommen.

Gut zehn Jahre ihres Berufslebens drehten sich um Erdöl. Sie haben zahlreiche Länder beraten. Reden Sie heute über diesen Energieträger anders als in den 1990er-Jahren?

Kaum. Hochentwickelte Länder können sich einen Ausstieg aus den Fossilen bis Mitte Jahrhundert leisten – abgesehen von den grauen Emissionen unserer Importe. Ganz anders die Entwicklungs- und Schwellenländer.

Die IEA sieht den Zenit der Erdölförderung in wenigen Jahren. Danach wird die Förderung über viele Jahrzehnte langsam sinken. Selbst das tugendhafte Dänemark wird erst 2050, nachdem es das letzte Kohlenwasserstoffmolekül aus seinem Boden gepresst hat, die Förderung aufgeben. Jemand wird das Erdöl fördern, raffinieren und transportieren müssen. Wenn es nicht die von Aktivisten verteufelten Ölmultis sind, dann die mittelöstlichen, russischen oder chinesischen Staatsfirmen. Ob das für die Umwelt und die gute Regierungsführung von Vorteil ist?

An welche Begegnung während Ihrer Berufskarriere erinnern Sie sich besonders gern?

Viele, auch überraschende. Ein türkischer konservativer Energieminister, der mir nach einer langen Verhandlungsnacht mit einem High Five gratuliert. Ein chinesischer Energie-Vizeminister, der mich nach einer mehrstündigen Sitzung, für die ich eigens nach Beijing geflogen war und gegen den Schlaf kämpfte, umarmte. Der Präsident von Ghana, dem ich bei einem offiziellen Essen in 60 Sekunden den Erneuerbaren blockierenden Reformstau in seinem Land erklären konnte, so dass er umgehend seinen Minister schalt.

Nun werden Sie pensioniert. Wie wird das Thema Energie Sie weiterhin beschäftigen?

Ich bin zum Schluss gekommen, dass Energie zu anspruchsvoll ist, um sich nur im Teilpensum damit zu beschäftigen. Man wird schnell obsolet und schweigt dann lieber.

Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Foto: Brigitte Mader, BFE

 

 

 

 

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