Klimafreundlich unterwegs mit Biogas vom Bauernhof
Aus Mist und Gülle wird auf dem Bauernhof der Familie Müller Energie: Ökostrom für mehrere hundert Haushaltungen, Wärme für Wohnungen, Schulhaus und Gewerbebetriebe und neu auch Biogas für die hofeigene Tankstelle, die erste dieser Art in der Schweiz.
15’200 Tonnen Mist, Gülle und biogene Reststoffe verarbeitet die landwirtschaftliche Biogasanlage jährlich. Der Mist kommt von den 350 Tieren vom eigenen Betrieb und aus Fremdbetrieben. Hinzu kommen weitere Reststoffe wie Rüstabfälle oder Rasenschnitt. Wichtig: In der Schweiz werden keine Energiepflanzen für die Biogas-Produktion angebaut. Die Nahrungs- oder Futtermittelproduktion wird nicht konkurrenziert.
Das produzierte Biogas wird zur Energieerzeugung (Strom und Wärme) genutzt. Der Strom wird ins Netz eingespeist und die Wärme im eigenen Wärmeverbund genutzt. Das Endprodukt Gärgülle wird auf dem Hof selber genutzt und an die Landwirte, die Hofgülle und Mist angeliefert haben, sowie an weitere Bauern mit viehlosen Betrieben verteilt.
Und seit kurzem können Müllers nun auch den eigenen Traktor mit Biogas betanken – an der hofeigenen Biogas-Tankstelle. Wie wird die Tankstelle genutzt? Steht genug Biogas zum Tanken zur Verfügung? Wie sieht die Zukunft von solchen Biogas-Tankstellen aus? Das wollte Energeiaplus von der Bauernfamilie Müller wissen.
Energeiaplus: Die Biogas-Tankstelle ist seit Anfang November 2021 in Betrieb. Wie häufig wird sie genutzt?
Andrea Müller: Die Tankstelle wird sicher fünf- bis sechsmal pro Tag genutzt, von unseren Kunden und Kundinnen oder von uns selbst. Es kommen laufend neue Kunden hinzu, und wir haben noch Luft nach oben.
Wer tankt bei Ihnen? Warum?
Zum einen Privatkunden, die bei uns 100% erneuerbares und regionales Biogas tanken. Bei ihnen steht der Nachhaltigkeitsgedanke im Vordergrund. Zum anderen ein Abfallunternehmer, der drei- bis viermal die Woche mit seinem Gas-LKW zum Tanken vorbeikommt. Er hat bereits einen zweiten Gas-LKW bestellt, da Nachhaltigkeit auch in der Entsorgungsbranche ein Verkaufsargument ist. Zudem ist der Kehrichtwagen im Betrieb leiser als ein normaler Kehrichtwagen, was im Wohngebiet sicher ein Pluspunkt ist.
Bei den momentanen Energiepreisen sind wir auch preislich gut aufgestellt. Unser Biogas entspricht umgerechnet einem Benzinpreis von 1.94 Fr. pro Liter. Es ist ausserdem preisstabiler, da unsere Produktion keinen grossen äusseren Einflüssen unterliegt.
Auch bei den Nutzfahrzeugen findet ein Umdenken statt. Sie haben sich für einen Traktor entschieden, der mit Gas angetrieben wird. Warum?
Geschlossene Kreisläufe sind bei uns immer ein Thema. Unser Betrieb benötigt jährlich bis zu 80’000 Liter Diesel. Wenn wir aus unseren Abfällen schon eigenen Treibstoff herstellen, wollen wir damit diesen Energiebedarf decken. Dies haben wir für die Wirtschaftlichkeit der Tankstelle auch miteinkalkuliert. Neben dem Kostendenken ist auch die Nachhaltigkeit treibende Kraft unseres Handelns. Die Landwirtschaft benötigt viel Energie. Sie wäre jedoch in der Lage, mehr zu produzieren, als sie benötigt. Daher sind wir Teil der Lösung!
Sie produzieren Rindfleisch und Kartoffeln und eben Energie. Warum gerade diese Diversifizierung?
Wichtig war uns ein wetterunabhängiger und landwirtschaftspolitisch unabhängiger Betriebszweig. Diesen haben wir mit der Biogasanlage und ihren Nebenzweigen gefunden.
Mist und Rüstabfälle landen in Ihrer Biogasanlage und die Gärgülle dann wieder auf dem Feld. Ein Kreislauf, der Ihnen wichtig ist. Warum?
Gerade in der Landwirtschaft haben wir sehr viel ungenutztes Potenzial. Dieses gilt es zu nutzen. Aus Abfall wird Energie, was will man mehr? Der verbleibende Reststoff, also die Gärgülle, ist ein hochwertiger Dünger. Zudem liegen die Geruchsemissionen bei der Ausbringung praktisch bei null. Die Böden werden langfristig wieder humusreicher und sind mit Nährstoffen versorgt. Gerade in trockenen Perioden ist dies für die Kulturen enorm wichtig, da der Boden die Feuchtigkeit besser halten kann. Weiterer Pluspunkt: Wir sparen mit der Ausbringung unserer Gärgülle jährlich bis zu 200 Tonnen Kunstdünger. Das wirkt sich wiederum positiv auf Kosten und Umwelt aus.
Aus unserer Sicht stellt sich vielmehr die Frage: Können wir es uns leisten, diese verfügbaren Ressourcen energetisch nicht zu nutzen?
Was spricht neben den Vorteilen für Ihren Landwirtschaftsbetrieb sonst noch für Biogas?
Biogasanlagen liefern Bandenergie. Das heisst, sie produzieren Strom, Wärme und Treibstoff unabhängig vom Wetter oder den Tages- und Jahreszeiten. Zudem ist das Gas speicherbar und kann dann für die Produktion eingesetzt werden, wenn sie benötigt wird.
Ökostrom Schweiz ist der Fachverband der landwirtschaftlichen Biogasproduzenten. Seine über 150 Mitglieder sind Landwirte, die gleichzeitig auch Klima- und Energiewirte sind. Der Verband hat die Biogas-Anlage auf dem Bauernhof in Thayingen als „Leuchturmprojekt“ bezeichnet. Energeiaplus wollte von Ronan Bourse – er ist Vorsitzender der Geschäftsleitung von Ökostrom – wissen, was an diesem Projekt „leuchtet“.
Ronan Bourse: Es handelt sich um die erste technisch ausgereifte Biogastankstelle auf einem Bauernhof. Müllers betreiben eine Biogasanlage, welche Strom und Wärme produziert und die
Wärme der Blockheizkraftwerke in den hofeigenen Wärmeverbund einspeist. Neu kann nun an der Tankstelle erneuerbarer Treibstoff aus der hofeigenen Produktion getankt werden.
Zudem hat die Familie Müller einen Biogas-Traktor aus der ersten Serienproduktion gekauft, bestellt mit diesem klimaneutral die Felder und schliesst Stoffkreisläufe. Deshalb ist dies ein Leuchtturmprojekt für die gesamte Branche.
Welche Rolle kann Biogas als Treibstoff spielen? Oder anders gefragt: Wie zukunftsfähig ist das Thayinger Modell?
Es besteht ein sehr grosses Potenzial, aus Hofdünger Energie zu produzieren. Heute werden lediglich knapp 5% der Gülle und des Mistes energetisch genutzt. Landwirtschaftliche Biogasanlagen könnten in Zukunft also eine grössere Rolle bei der Produktion von Treibstoff einnehmen – vorausgesetzt, dass ausreichend Investitionssicherheit gegeben ist.
Wird Biogas in Zukunft als Treibstoff überhaupt noch gefragt sein – angesichts des Booms bei der Elektromobilität?
Damit die Energiewende gelingt, werden alle Optionen der CO2-neutralen Mobilität benötigt. Alle Technologien haben ihre Vor- und Nachteile. Gerade im Schwerverkehr und bei den Traktoren sind strombetriebene Fahrzeuge wegen der beschränkten Reichweite und des hohen Gewichts nicht geeignet. In diesem Sektor hat Biogas klare Vorteile.
Welches Potenzial sehen Sie beim Biogas? Als Treibstoff oder doch eher in der Stromerzeugung?
Der Betrieb von Biogasanlagen, die Brenn- oder Treibstoff produzieren und einspeisen, ist dort sinnvoll, wo bestehende Gasleitungen vorhanden sind. Sind keine Gasleitungen vorhanden, bietet sich die Stromproduktion kombiniert mit Biogastankstellen an. Die Grundvoraussetzung für eine Ausnützung des Potenzials sind ein Fördersystem oder langfristige Verträge mit Gasversorgern, welche die Investitionssicherheit garantieren.
Die Energieperspektiven 2050+ des Bundesamts für Energie rechnen beim Szenario Zero Basis mit 1,2 TWh Strom aus Biogas. Ist das realistisch?
Diese Prognose ist realistisch, sofern die Rahmenbedingungen stimmen: Wichtig wäre als erster Schritt, dass die revidierte Energieförderungsverordnung, welche am 1. Januar 2023 in Kraft tritt, die nötige Investitionssicherheit von landwirtschaftlichen Biogasanlagen gewährleistet.
Welche Klimaschutzleistung erbringen landwirtschaftliche Biogasanlagen?
Landwirtschaftliches Biogas ist klimafreundlich. Zum einen wird fossiler Treib- oder Brennstoff substituiert. Zum anderen erbringen landwirtschaftliches Biogasanlagen eine beachtliche Klimaschutzleistung, weil im Vergleich zur konventionellen Hofdüngerlagerung der Hofdünger in ein gasdichtes System überführt wird. In diesem werden nahezu 100% der Methanemissionen aufgefangen und später zu Energie umgewandelt. In der konventionellen Lagerung hingegen entweicht dieses Treibhausgas unkontrolliert in die Atmosphäre. Bei der Gewinnung von Biogas können klimarelevante Emissionen somit stark vermindert werden. Landwirtschaftliche Biogasanlagen leisten einen grossen Beitrag zur Erreichung der Schweizer Klimaziele.
Im Jahr 2019 waren in der Schweiz insgesamt 640 Biogas produzierende Anlagen in Betrieb, darunter rund 120 landwirtschaftliche Biogasanlagen. Die Anzahl der Biogasaufbereitungsanlagen mit Einspeisekapazitäten in das Erdgasnetz ist mit 37 Anlagen im Vergleich zu den Erzeugungsanlagen deutlich geringer. Obgleich der Grossteil der Biomasseanlagen für die Strom- und Wärmeerzeugung eingesetzt wird, wurde im Jahr 2019 mit 361 GWh annährend die gleiche Energiemenge an Biomethan in das Gasnetz eingespeist, wie Strom produziert (372 GWh) und Wärme ausgekoppelt wurde (345 GWh). Die eingespeiste Menge Biomethan entspricht etwa 1 % des Gesamtdurchsatzes im Gasnetz.
Quelle: Exkurs Biomasse Energieperspektiven
Text und Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
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