OLD Caption: Explosion in einem Gaswerk im belgischen Ghislenghien (keystone: AP Photo/Olivier Pirard)
NEW Caption: Flames erupt from a building in Ghislenghien, Belgium, Friday July 30, 2004. An explosion Friday at a gas works outside Brussels killed at least 10 people and injured numerous others, including firefighters and police responding to the blast, authorities said. (AP Photo/Olivier Pirard) ** BELGIUM OUT ** | Copyright: OLD Caption: Anja Maurer ist beim Bundesamt für Energie für die Aufsicht Rohrleitungen zuständig. (Bild: BFE)
NEW Caption: | Copyright:
, , ,

Gut geschützt vor der Katastrophe: Störfallvorsorge bei Erdgasleitungen


Das Schweizer Erdgasleitungsnetz ist rund 2300 Kilometer lang und versorgt Haushalte und Betriebe mit Energie. Gravierende Unfälle mit Gasexplosionen sind äusserst selten. Damit dies auch in Zukunft so bleibt, wird das Netz derzeit auf Herz und Nieren geprüft.

Gegen 8.30 Uhr alarmierten Bauarbeiter die Feuerwehr. Einige von ihnen hatten einen starken Gasgeruch wahrgenommen. Knapp eine halbe Stunde später, als das Gebiet gerade abgesperrt werden sollte, ereigneten sich mehrere schwere Explosionen.

Explosion in einem Gaswerk im belgischen Ghislenghien (keystone: AP Photo/Olivier Pirard)

Sie zerstörten drei Fabrikhallen, schlugen einen rund 4 Meter tiefen und 10 Meter breiten Krater in die Erde und zerfetzten eine Gasleitung auf einer Länge von gut 200 Metern. Die Flammen schlugen bis zu 100 Meter hoch in den Himmel und waren noch aus 15 Kilometer Entfernung zu erkennen. Bei der Katastrophe, die sich am 30. Juli 2004 im belgischen Ghislenghien ereignete, starben 24 Personen, über 132 Menschen erlitten teils schwere Verletzungen.

Müssen wir uns Sorgen machen?

Zu diesem tragischen Unglück war es beim Bau einer neuen Fabrikhalle gekommen, weil eine Planierraupe versehentlich eine unterirdisch durch das Gebiet verlaufende Erdgasleitung beschädigt hatte. In der Schweiz gab es in der Vergangenheit glücklicherweise kein so verheerendes Unglück mit Erdgashochdruckleitungen. Einzig 2014 kam es in Reigoldswil (BL) zu einem Vorfall: Im Zuge eines Hangrutsches war eine Leitung geborsten, worauf Gas ausströmte, was als lautes Zischen gut hörbar war. Eine Zündung des Erdgases blieb zum Glück aus, zu Schaden kam niemand.

Trotzdem stellt sich die Frage: Wie gross ist eigentlich die Gefahr eines Unfalls mit Erdgashochdruckleitungen in der Schweiz? Müssen wir uns Sorgen machen? Die kurze Antwort lautet: Nein, aber …

Erdgas ist hierzulande eine relativ junge Energiequelle. Erst seit den 1970er-Jahren wird sie im grösseren Stil genutzt. Der Anteil am Gesamtenergieverbrauch beträgt knapp 15 Prozent. Wie beim Erdöl ist die Schweiz auch beim Erdgas vollständig auf Importe angewiesen. Dessen Transport vom ausländischen Hochdrucknetz zu den Betreibern von Erdgashochdruckleitungen im ganzen Land erfolgt ab diversen Importpunkten in der West-, Nordwest-, Ost- und Südschweiz. Die Leitungen weisen Durchmesser von 10 bis 120 Zentimetern und einen Druck von bis zu maximal 85 bar auf. Die Schweiz verfügt heute über ein rund 2300 Kilometer langes Erdgashochdruckleitungsnetz, mit dem Haushalte fürs Heizen und Kochen versorgt werden. Zudem nutzen auch Industrie und Gewerbe Erdgas als Energieträger.

Konflikte häufen sich

Die bestehenden Leitungen erfüllen alle technischen Anforderungen an eine sichere Anlage, wie sie das Rohrleitungsgesetz vorschreibt. «Das Schweizer Erdgashochdruckleitungsnetz ist technisch gesehen sicher», sagt deshalb Michael Hösli von der Sektion Störfall- und Erdbebenvorsorge im BAFU.

Die Frage ist nun aber, inwiefern die auch im Umfeld von Erdgashochdruckleitungen festgestellte stetige Zunahme der Bevölkerung die Risiken erhöht. Vor 40 Jahren wies die Schweiz noch eine kompaktere Siedlungsstruktur auf. Deshalb konnte die Erdgaswirtschaft ihre Hochdruckleitungen grösstenteils in sicherer Distanz zu Dörfern und Gewerbegebieten verlegen. Mit der zunehmenden Siedlungsausdehnung sowie der angestrebten Verdichtung von Stadtzentren verlaufen Leitungen heute teilweise in nächster Nähe zu Siedlungen oder Betrieben mit grossem Personenaufkommen. Damit häufen sich Konflikte zwischen Gasversorgung und anderen Nutzungen.

Aus diesem Grund unterstellte der Bund – nach den Chemiebetrieben und den Gefahrenguttransporten auf Bahn und Strasse – im Jahr 2013 auch die Erdgashochdruckleitungen der 1991 in Kraft gesetzten Störfallverordnung. Die Behörden haben das Leitungsnetz in der Folge einem kontinuierlichen Kontroll- und Beurteilungsprozess unterzogen, wie dies auch bei allen anderen Anlagen im Geltungsbereich der Störfallverordnung der Fall ist. Unter die Lupe genommen wurden dabei auch die Ölpipelines mit einer Gesamtlänge von 200 Kilometern, die vor allem eine Gefahr für die Umwelt darstellen.

Dabei geht es insbesondere um diese Fragen: Mit welcher Wahrscheinlichkeit kann es zu einem Schadenereignis kommen? Wie gravierend wäre der Schaden, den es anrichten würde? Sind Tote und Verletzte zu befürchten? Damit lassen sich die von Erdgashochdruckleitungen ausgehenden Risiken beurteilen. Wichtig ist dabei auch ein Blick in die Zukunft. Das heisst, eine Risikoabschätzung ist auch dann nötig, wenn auf einem Terrain in der Nähe einer Erdgasleitung neu eingezont oder gebaut werden soll. Sind die Risiken zu hoch, drängen sich unter anderem Sicherheitsmassnahmen an der Erdgashochdruckleitung oder raumplanerische Massnahmen zur Risikosenkung auf.

«Risiken im grünen Bereich»

Anja Maurer ist beim Bundesamt für Energie für die Aufsicht Rohrleitungen zuständig. (Bild: BFE)

Seit 2013 haben die Betreiber der Erdgasleitungen nun also in Zusammenarbeit mit spezialisierten Firmen Risikoabschätzungen für ihre Netze erstellt. Die Überprüfung dieser Arbeiten erfolgte durch das Bundesamt für Energie (BFE) unter Einbezug des BAFU und des Eidgenössischen Rohrleitungs­inspektorats. Eine erste Bilanz fällt positiv aus: «Bei einem sehr grossen Teil der Leitungen liegen die Risiken im grünen und somit akzeptablen Bereich», sagt Anja Maurer, die beim BFE für die Aufsicht der Rohrleitungen zuständig ist. Allerdings bestünden an einigen Stellen in urbanen Gebieten erhöhte Risiken, die nun einer vertieften Prüfung unterzogen werden. Mit entsprechenden Resultaten ist bis Mitte 2022 zu rechnen.

Nur in ganz seltenen Fällen müssten die Betreiber Leitungen zum Schutz der Bevölkerung verlegen, sagt Anja Maurer. «Als häufigste Sicherheitsmassnahme werden Schutzplatten aus Beton oder Kunststoff angebracht. Diese schützen die Leitung vor Beschädigungen bei Bauarbeiten, welche mit Abstand die häufigste Ursache für Schadenereignisse sind.» So wie damals in Ghislenghien. Ein solches Unglück soll es in der Schweiz nie geben.

Risikoermittlung an bester Lage

Es war die letzte freie Parzelle mit Blick auf den See im Kanton Genf. Exklusive Lage. Rund 53?000 Quadratmeter misst das Gebiet Champ-du-Château in der Genfer Vorortsgemeinde Bellevue, was etwa der Grösse von sieben Fussballfeldern entspricht. Die 2013 vorgenommene Umzonung als Baugebiet erforderte die Erarbeitung eines Quartierplans mit neuen Nutzungsbedingungen. Seither entsteht auf dem Gelände eine Überbauung mit Wohnungen, Bürogebäuden und dem neuen Hauptsitz der Privatbank Lombard Odier, den die renommierten Basler Architekten Herzog & de Meuron entworfen haben. Aufgrund dieser baulichen Verdichtung musste der neue Nutzungsplan auch mit der Störfallverordnung abgeglichen werden. Denn am Rande des Terrains verläuft eine Erdgasleitung, und zwar in unmittelbarer Nähe des neuen Hauptsitzes der Privatbank. Allein dort sollen ab 2023 rund 2000 Mitarbeitende ein und aus gehen.

Gaznat, die Betreiberin der Erdgasleitung, gab deshalb bei spezialisierten Firmen eine Risikoermittlung in Auftrag. In Zusammenarbeit mit den kantonalen Fachstellen und den Bundesbehörden hat man daraus entsprechende Massnahmen abgeleitet und beschlossen. Konkret musste die Erdgasleitung 3 Meter tiefer verlegt werden und befindet sich jetzt 4 Meter unter der Oberfläche. Das Stahlrohr ist mit 10 statt früher 5 Millimetern nun doppelt so dick, und über der Leitung wurden zudem Schutzplatten aus Beton in der Erde platziert. Darüber hinaus führen neuerdings Glasfaserkabel oberhalb der Pipeline durch den Boden, mit denen Gaznat in Zukunft feinste Erschütterungen messen kann. Sie dienen dazu, nicht autorisierte Tiefbauarbeiten, welche die Leitung beschädigen könnten, frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. «Die Kombination dieser Massnahmen vermindert mögliche Risiken für die Bevölkerung auf ein akzeptables Mass», sagt Fabrice Volluz, Projektleiter bei der Betreiberfirma Gaznat.

Die Arbeiten an der Rohrleitung begannen mit dem Ablassen des Gases im ursprünglichen Rohrleitungsabschnitt und der Isolierung der Strecke durch das Verlegen von Kappen. Nach Umsetzung der baulichen Massnahmen unterzogen Fachleute den neuen Rohrleitungsabschnitt einer zweistündigen Wasserdruckprüfung und schlossen ihn dann ans Gasnetz an. Während der nun laufenden Bauarbeiten besucht ein Gaznat-Mitarbeiter die Baustelle wöchentlich, um die Umgebung der Pipeline zu überwachen und mögliche Risiken zu erkennen.

Die Zusammenarbeit mit allen involvierten Behörden habe hervorragend funktioniert, blickt Fabrice Volluz von Gaznat zurück. Auf Basis des im Umweltschutzgesetz festgeschriebenen Verursacherprinzips musste die Betreiberfirma die Kosten für die Anpassungsarbeiten an der Erdgashochdruckleitung vollumfänglich übernehmen.

Text: Peter Bader
Der Betrag erschien zuerst in „das magazin“ des Bundesamts für Umwelt und wird auf energeiaplus.com als Zweitverwertung abgedruckt.

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .