Kohle, Öl, Gas: Vier Schlaglichter zur Geschichte der fossilen Energien in der Schweiz
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts beruht die Energieversorgung der Schweiz hauptsächlich auf fossilen Energien. Um 1850 wurde die Kohle zum zentralen Energieträger der Industriegesellschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kohle dann durch das Erdöl abgelöst. Das Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit war mit einem rasant ansteigenden Energieverbrauch verbunden. Das billige Erdöl brachte uns Wohlstand, führte aber auch zur Verschwendung von Ressourcen und Energie und verursachte zunehmend ökologische Probleme. Die folgenden vier Schlaglichter werfen einen Blick auf die Geschichte der fossilen Energien in der Schweiz. Die Grafiken stammen aus dem „Bar Chart Race“, der die Entwicklung der Energieträger in der Schweiz darstellt.
1918: Menschen mussten im Winter frieren, kalt essen und zu Fuss gehen
In der Schweiz begann ab 1850 mit dem Ausbau der Eisenbahn der exponentielle Anstieg des Kohleverbrauchs. Die Eisenbahn ermöglichte den Import grosser Mengen Kohle, welche schnell zur Grundlage des industriellen Wachstums wurde. Die Metall- und Maschinenindustrie, die chemische Industrie und die Nahrungsmittelindustrie waren auf die Kohle angewiesen. Der Erste Weltkrieg führte der Schweiz dann erstmals die gefährliche Abhängigkeit von den fossilen Energien drastisch vor Augen.
Die Kohlelieferungen wurden im Krieg vor allem von Deutschland als politisches Druckmittel gegen die Schweiz eingesetzt. 90 Prozent der Kohle kam damals aus Deutschland, die restlichen 10 Prozent stammten aus Frankreich. Ab 1916 gingen die Kohlelieferungen aus Deutschland sukzessive zurück und der Brennwert der gelieferten Kohle nahm immer mehr ab. 1918 und 1919 erreichte die Energiekrise ihren Höhepunkt. Für die Bevölkerung bedeutete die erzwungene Reduktion des Energieverbrauchs massive Einschränkungen: die Menschen mussten im Winter frieren, kalt essen und zu Fuss gehen.
Die Rationierung der Kohle führte zu Einsparungen beim Heizen und Kochen und zu Einschränkungen bei der Mobilität. Es fuhren weniger Personenzüge und gar keine Schnellzüge mehr. Wegen dem Mangel an Erdöl erwog der Bundesrat auch ein Verbot des Autoverkehrs. Die Landbevölkerung musste auf ihre Petroleumlampen verzichten und ihre Häuser wieder mit Kerzen beleuchten.
Der Versorgungsengpässe durch die ausbleibenden Kohle- und Erdölimporte bedeuteten für die Schweiz den Verlust ihrer wirtschaftlichen Souveränität. Gleichzeitig verhalf die Energiekrise während des Ersten Weltkriegs der Elektrizität aus der einheimischen Wasserkraft zum Durchbruch. Nach dem Krieg begann die flächendeckende Elektrifizierung des Eisenbahnnetzes. Zudem wurden während des Ersten Weltkrieges erstmals «Brennstoffämter» eingeführt und nach dem Krieg die ersten Pflichtlager für Brenn- und Treibstoffe geschaffen.
1945: Lieferengpässe führten zu rigorosen Sparmassnahmen
Um sich für kommende Versorgungskrisen zu wappnen, wurde 1932 die Schweizerische Zentralstelle für die Einfuhr flüssiger Treib- und Brennstoffe (CARBURA) geschaffen. Als sich am Vorabend des Zweiten Weltkrieges erneut eine Mangellage abzeichnete, verordnete der Bundesrat 1936 erstmals einen autofreien Sonntag. 1937 wurden die Pflichtlager für fossile Brenn- und Treibstoffe gesetzlich verankert.
Trotzdem war die Schweiz schlecht auf den Krieg vorbereitet. Die Wirtschaftsbestände für Benzin, Diesel und Heizöl reichten für gut drei Monate, doch die Vorratshaltung der Armee war ausserordentlich prekär. Deshalb mussten die Wirtschaftsvorräte beschlagnahmt werden, da die Armee sonst handlungsunfähig gewesen wäre. Mit den versiegenden Erdölimporten setzte ein dramatischer Brenn- und Treibstoffmangel ein. Die Lieferengpässe zwangen zu rigorosen Sparmassnahmen.
Ab 1940 galt ein generelles Sonntagsfahrverbot, ab 1941 wurden massenweise Motorfahrzeuge stillgelegt. Lastwagen rüsteten auf Holzvergaser um und Privatpersonen erhielten kaum noch Benzin. Da das Heizöl fehlte, heizte die Bevölkerung vermehrt mit Strom. 1942 musste aber wegen Strommangel die elektrische Raumheizung generell und unter der Woche auch die elektrische Erzeugung von Warmwasser verboten werden. Einige Haushalte konnten gar nicht mehr heizen.
Darum wurden öffentliche Wärmestuben eingerichtet, um kleine Kinder und alte Menschen vor dem Erfrieren zu retten. Die Kohle wurde wieder vermehrt als Brennstoff für die Heizung der Haushalte eingesetzt, doch die Lieferungen aus Nazideutschland wurden im Winter regelmässig benutzt, um von der Schweiz wirtschaftliche Zugeständnisse zu erpressen. Die Rationierung von Benzin, Petroleum und Heizöl wurde in der Schweiz erst 1946 wieder vollständig aufgehoben.
1960: Nach dem Krieg setzte ein regelrechter Erdölrausch ein
War der Zweite Weltkrieg vom Mangel geprägt, so folgte nach dem Krieg der Überfluss und die Verschwendung. Europa und die USA gerieten in einen regelrechten Erdölrausch. Von 1950 bis 1973 setzte ein noch nie dagewesenes, globales Wirtschaftswachstum ein. Der Konsum von Benzin, Diesel, Kerosin und Heizöl sowie der Verkauf von Plastik nahm weltweit enorm zu.
Das Auto und die Zentralheizung wurden zu Symbolen der Konsumgesellschaft. Anfang der 1950er-Jahre setzte in der Schweiz die Massenmotorisierung ein. Das Auto wurde zum Statussymbol. Das Strassennetz wurde massiv ausgebaut und Autobahnen durchpflügten fortan die Landschaft. Es entstanden im ganzen Land Strassen, Autobahnen, Parkplätze, Garagen, Tankstellen, Shoppingzentren und Raststätten.
In den 1950er-Jahren interessierten sich die internationalen Erdölfirmen Shell, Esso und BP auch für Erdölbohrungen in der Schweiz. Die Schweiz galt als politisch stabiles Land, in welchem Revolutionen, Kriege und Verstaatlichungen fast gänzlich ausgeschlossen waren. Die Kantone, welche die Erdölkonzessionen vergeben konnten, witterten ein gutes Geschäft und träumten bereits vom grossen Geld.
Das Interesse der Erdölfirmen weckte in der neutralen Schweiz aber auch Ängste vor dem Ausverkauf der Heimat. Der Bundesrat fürchtete sich im Kalten Krieg vor den imperialen Gelüsten anderer Staaten. Nach dem Putsch im Iran 1953 betrachtete man die Vergabe von Erdölkonzessionen an ausländische Firmen als eine Gefahr für die nationale Sicherheit, Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz.
Die Suezkrise führte 1956 der Schweiz erneut ihre Abhängigkeit von fossilen Importen vor Augen. In der Folge wurde 1959 die Swisspetrol AG gegründet, die in der Schweiz nach Erdöl und Erdgas suchte. Die Kantone verkauften ihre Erdölkonzessionen nun nur noch an die Swisspetrol AG. Zwischen 1958 und 1966 fanden insgesamt 17 Bohrungen statt, die jedoch alle erfolglos blieben und keine kommerziell abbaubaren Vorkommen zutage förderten.
1973: Wegen der Erdölkrise verordnete der Bundesrat drei autofreie Sonntage
1973 hatte das Erdöl bereits einen Anteil von fast 80 Prozent am gesamten Energiebedarf der Schweiz. Umso grösser war der Schock als es im Oktober 1973 zur Erdölkrise kam. Nach dem Ausbruch des Yom-Kippur-Kriegs drehten die wichtigsten arabischen Staaten kurzerhand den Ölhahn zu, um die westlichen Industriestaaten für ihre pro-israelische Politik zu bestrafen. In den USA und in Europa breitete sich die Angst vor einem Mangel an Erdöl aus.
In Anbetracht der sich abzeichnenden Mangellage rief der Bundesrat die Bevölkerung zur Sparsamkeit auf. Am 21. November 1973 verordnete der Bundesrat drei autofreie Sonntage und verfügte ein Tempolimit von 100 km/h auf den Autobahnen. Mit der Erdölkrise 1973 ging das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit jäh zu Ende. Die Vorstellung unerschöpflicher Ressourcen war unwiederbringlich dahin. Die neue Umweltbewegung übte nun Kritik an der westlichen Konsumgesellschaft, an deren unstillbarem Energiehunger, an der hemmungslosen Verschwendung von Rohstoffen und an der damit verbundenen Umweltzerstörung.
Unter dem Eindruck der Erdölkrise setzte der Bundesrat 1974 die Gesamtenergiekommission (GEK) ein, die erstmals eine langfristige Strategie für die Energieversorgung der Schweiz ausarbeiten sollte. Auf der Grundlage wurde anschliessend der Energieartikel für die Bundesverfassung ausgearbeitet. Das «Zauberwort» der Energiepolitik hiess damals «Diversifizierung»: Um die einseitige Abhängigkeit vom Erdöl zu reduzieren, sollte verstärkt auf Erdgas, Kernenergie und erneuerbare Energien gesetzt werden.
Die Absicht, Energie zu sparen und die Versorgung zu diversifizieren, war aber nicht sehr nachhaltig. In den 1980er- und 1990er-Jahren war das Erdöl erneut so billig zu haben, dass sich die Sorgen um die Versorgungssicherheit schnell zerstreuten. Der globale Erdölrausch setzte sich damals auch in der Schweiz wieder ungebremst fort.
Nach der Erdölkrise 1973 wurde auch das Erdgas als umweltfreundliche Alternative zum Erdöl vermarktet. Dessen Anteil an der Energieversorgung wuchs in der Schweiz von 1974 bis 2013 von 2,2 auf 13,5 Prozent. Es wurde zur Heizung von Gebäuden, als Prozesswärme in der Industrie und im Gewerbe sowie zur Stromproduktion eingesetzt.
Michael Fischer, Historiker und Fachspezialist Bundesrats- und Parlamentsgeschäfte beim Bundesamt für Energie
Weitere Literatur
Ganser, Daniele: Europa im Erdölrausch. Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit. 4. Aufl. Zürich: Orell Füssli, 2014.
Gisler, Monika: Die Schweizerische Gasindustrie 1850-2020. Zürich: Verband der Schweizerischen Gasindustrie VSG, 2020.
Gisler, Monika: «Swiss Gang». Pioniere der Erdölexploration. Zürich: Verein für wirtschaftshistorische Studien, 2014a.
Gisler, Monika: Erdöl in der Schweiz. Eine kleine Kulturgeschichte. Zürich: Verein für Wirtschaftshistorische Studien, 2011.
Kupper, Patrick; Pallua, Irene: Energieregime in der Schweiz seit 1800. Bundesamt für Energie BFE, Forschungsprogramm Energie-Wirtschaft-Gesellschaft (EWG), 11.07.2016.
Marek, Daniel: Kohle. Die Industrialisierung der Schweiz aus der Energieperspektive 1850-1900. Dissertation, Universität Bern, 1992.
Pfister, Christian: Frieren, kalt essen und zu Fussgehen. Die Energiekrise 1917-1919 in der Schweiz. In: Krämer, Daniel; Ders.; Segesser, Marc (Hrsg.): «Woche für Woche neue Preisaufschläge». Nahrungsmittel-, Energie- und Ressourcenkonflikte in der Schweiz des Ersten Weltkrieges. Basel: Schwabe Verlag, 2016, S. 113-132.
Pfister, Christian: Das «1950er Syndrom»: Die umweltgeschichtliche Epochenschwelle zwischen Industriegesellschaft und Konsumgesellschaft. In: Ders. (Hrsg.): Das 1950er Syndrom. Der Weg in die Konsumgesellschaft. Bern, Wien u.a.: Haupt, 1995, S. 51–95.
Dein Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!