Eine Rundumlösung mit Zukunft
Am Flughafen Zürich entstand während der letzten fünf Jahre ein neues Quartier: der Circle. Der neue Hybridbau erfüllt nicht nur architektonische Ansprüche, sondern auch internationale Energie- und Nachhaltigkeitsstandards. Eine neue Fassadentechnologie macht’s möglich.
Anmutig schmiegt sich seit kurzem ein architektonisch spannender Neubau um eine Grünanlage des Flughafengeländes in Zürich. Der 2020 eröffnete Circle von Architekt Riken Yamamoto ergänzt das bestehende Angebot am Flughafen mit Restaurants, Shops, einem Gesundheitszentrum oder ganz einfach als urbanes Stadtquartier in der Agglomeration. Gut fünf Jahre dauerte der Bau des imposanten Gebäudes, das sich trotz seiner Grösse diskret in die Umgebung einfügt – gewollt. Die Fassade zu den Terminals hin erinnert an das bestehende Airside Center, weil sie mit einer Neigung von bis zu 18 Grad geformt ist. Dieses stilistische Herzstück des Circle vereint die sechs einzelnen Gebäude optisch zu einem grossen Ganzen.
Der Hybridbau ist aber mehr als spannende Architektur. Das Projekt entspricht hohen Standards punkto Energieeffizienz und Nachhaltigkeit. Es erfüllt die Anforderungen des LEED® PLATINUM (Leadership in Energy and Environmental Design) Labels sowie des MINERGIE-Standards. Dieser Anspruch war essentiell für das Bauprojekt. Die Flughafen Zürich AG hat denn bereits 1994 mit dem Kanton Zürich Ziele für mehr Energieeffizienz und Nachhaltigkeit vereinbart, die sie seit 20 Jahren einhält oder gar übertrifft. So blieb der Energieverbrauch seit den 90er-Jahren annähernd konstant, bei knapp 70 Prozent mehr Infrastrukturfläche und viel zusätzlichem Verkehr.
Während die gerundete Fassade die Gebäude optisch eint, stehen sie faktisch auf einem gemeinsamen Sockel, über den die gesamte Energieversorgung zentral und effizient geregelt wird. Deren Grundpfeiler sind ein eigenes Anergienetz, der Einsatz von thermoaktiven Bauteilen (TABS), eine Photovoltaikanlage und nicht zuletzt eine ziemlich smarte Fassade. Grosse Glasflächen sind für die klimatischen Verhältnisse im Gebäude grundsätzlich eine Herausforderung. Beim Circle ist beinahe die gesamte Aussenhülle aus Glas. Wie passt das mit dem Anspruch an Energieeffizienz und Nachhaltigkeit zusammen?
Eine neue Technologie macht’s möglich. Die sogenannte Closed Cavity Fassade (CCF) ist eine Zweischichten-Konstruktion der Firma Gartner und wurde beim Circle zum ersten Mal an einer Fassade mit Neigung verbaut. Der Raum zwischen den Innen- und Aussenscheiben ist luftdicht verschlossen. Mit leichtem Überdruck wird konstant trockene Luft in die Zwischenschicht geblasen, um Kondensat an der Fassade zu vermeiden. Diese Art der Doppelverglasung ermöglicht den Einsatz von hochtransparentem Glas und eines windunabhängigen und hochsensiblen Sonnenschutzes, was letztendlich auch die Energieeffizienz im Gebäude verbessert. 10’590 Storen sind hierfür in den Zwischenräumen der beiden Glasfronten installiert. Die Storen sind programmiert und richten sich je nach Datum, Uhrzeit und geographischer Ausrichtung korrekt aus.
Die Fassade ist eines von vielen Elementen, bei denen Architektur und Nachhaltigkeit einen gemeinsamen Weg finden mussten. Dass dies in allen Bereichen verwirklicht wurde, liegt in der Verantwortung von Emanuel Fleuti. Der Leiter Umweltschutz ist seit 30 Jahren für die Flughafen Zürich AG tätig und engagiert sich für eine nachhaltige Weiterentwicklung der Infrastruktur. Im Interview erzählt er, wie er das Grossprojekt strategisch plante und umsetzte, welche Hürden es dabei zu nehmen gab und weshalb Hoffnung keine Alternative für Mut ist.
Emanuel Fleuti, die Energieeffizienz hatte beim Circle grosse Priorität und die Antwort darauf ist eine Glasfassade. Wie kommt es dazu?
Riken Yamamoto hat den Architekturwettbewerb unter anderem gewonnen, weil sich sein Circle-Modell so gut in die bestehende Umgebung einfügt und nicht als Fremdkörper wirkt. Glas als dominantes Material und die Neigung der Fassade sind Bestandteile davon. Der Umgang mit dieser Fassade führte für mich letztendlich zu einer wichtigen Erkenntnis: Nur weil Glasfassaden bei energieeffizienten Gebäuden bisher eher unbeliebt sind und es wenig Erfahrungswerte für geneigte Varianten gibt, muss das nicht so bleiben. Man muss einfach neue Lösungen finden – so funktioniert technologischer Fortschritt. Wir haben uns also auf die Suche nach einer Innovation gemacht, die es uns erlaubt, eine geneigte Glasfassade zu bauen und trotzdem nachhaltig und energieeffizient zu sein. Und siehe da: Wir wurden fündig. Mit der CCF-Technologie erfüllen wir mit der Glasfassade unsere Ansprüche an Energieeffizienz. Darauf zu hoffen, dass jemand anderes bald eine passende Lösung findet, war für uns keine Option. Für Fortschritt braucht es Mut, etwas Neues zu wagen.
Ist der Prozess so nicht aufwändiger und riskanter als mit erprobten Technologien?
Natürlich ist der Prozess der Prüfung intensiver und bedarf grösster Sorgfalt. Bei der Fassade war denn nicht nur das Material Glas eine Herausforderung, sondern auch die Neigung. Wir haben praktisch keine rechtwinkligen Räume, was sämtliche Berechnungen für den Energiehaushalt verkompliziert. Solche Faktoren sind aber in meinen Augen keine Ausreden, Neubauten heutzutage nicht trotzdem nachhaltig zu gestalten. Wenn wir in eine bestimmte Innovation investieren, beteiligen wir uns am allgemeinen technologischen Fortschritt. Etwa für die Storen gab es noch keine Erfahrungswerte, wie sie sich in geneigter Lage verhalten. In einer Testphase haben wir sie deshalb 10’000 Mal rauf und runter fahren lassen, mit dem Ergebnis, dass sie in der Neigung nicht gleich lange halten, wie in senkrechter Position. Von dieser Erkenntnis profitieren die Technologie und künftige Bauvorhaben. Der geneigte Teil der Fassade ist jetzt mit Sonnenschutzgläsern ausgestattet, die eine ähnliche Wirkung erzielen.
Welchen anderen Herausforderungen sind Sie in der Planung und Umsetzung begegnet?
Wegen der besonderen Architektur brauchte es für die Energieversorgung eine gute Planung, aber auch Kreativität. Alleine die Grösse des Projekts ist eine Challenge: Der Circle erstreckt sich über eine Nutzfläche von 180’000 m2 mit bis zu elf Stockwerken, die alle zentral versorgt werden. Hinzu kommt die hohe Diversität der Nutzung. Büroräumlichkeiten belegen die Mehrheit der Fläche und benötigen ein durchschnittliches Raumklima. Das Hotel im Prinzip auch, hier ist die Nutzung aber volatil. Sprich, es sind nicht immer alle Hotelzimmer belegt und müssen entsprechend nicht immer klimatisiert oder geheizt werden. Das Gesundheitszentrum hat einen sehr hohen Lüftungsbedarf und braucht besonders viel Strom. Bei den Shops variiert es, je nach Angebot. Am Ende müssen all diese Faktoren berücksichtigt und aufeinander abgestimmt sein.
Wie haben Sie das geschafft?
Nun, bei so grossen und langfristigen Projekten braucht es als erstes Durchhaltewillen. Gerade wenn so viele Elemente miteinander vernetzt sind, werden Probleme sozialer. Sprich, sie kommen nie alleine. Da hilft es einen guten Plan zu haben, um sich immer wieder zu orientieren. Gleichzeitig muss man flexibel bleiben und bereit sein, diesen Plan im richtigen Mass laufend anzupassen und neu zu definieren. Dafür braucht es als zweites eine gesunde Portion Pragmatismus.
Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Auf den begehrten Dachflächen des Circle konkurrieren diverse technische Einrichtungen: die Photovoltaikanlage, eine Befahrungsanlage für die Fassadenreinigung, Einrichtungen für die Grauwassernutzung und andere Elemente der Haustechnik. Der Schlüssel zu einer sinnvollen Nutzung heisst hier Verhältnismässigkeit. Aufgrund der Einrichtungen des Gesundheitszentrums ist unser Strombedarf relativ hoch. Selbst wenn die komplette Dachfläche für PV-Module genutzt würde, könnten wir keinen substanziellen Teil des Stroms mit Sonnenenergie decken – aktuell sind es 2.5 Prozent. Es wäre deshalb unverhältnismässig, nicht wirtschaftlich und mit grossem Aufwand verbunden , andere, funktionale Elemente auf dem Dach wegzulassen oder umzugestalten, um den Solarstromanteil um ein paar Promille zu erhöhen. Mit unserer Grauwassernutzung erzielen wir bereits eine sehr grosse Wirkung.
Das klingt nach viel Engagement, um verschiedene Bedürfnisse zu befriedigen.
Als Umweltbeauftragter gehört es zu den Kernaufgaben meiner Tätigkeit, mit verschiedenen Ansprüchen umzugehen und neue, passende Lösungen zu finden. So wird es meinen Berufskolleginnen und -kollegen auch gehen. Der Aufwand lohnt sich aber. Beim gesamten Circle erfüllen wir die Ansprüche des Architekten, halten unsere Verpflichtung gegenüber der Umwelt und dem Kanton Zürich ein und sind dazu noch wirtschaftlich unterwegs.
VORBILD ENERGIE UND KLIMA
Die Initiative Vorbild Energie und Klima ist eine von zwölf Massnahmen der Energiestrategie 2050. In ihrem Rahmen engagieren sich die Bundesverwaltung und bundes- und kantonsnahe Unternehmen gemeinsam, ihren Beitrag zur Begrenzung der Klimaerwärmung auf unter 1,5 Grad zu leisten. Dazu verbessern sie laufend ihre Energieeffizienz und steigen auf erneuerbare Energien um. Sie berichten transparent über ihre Zielerreichung und teilen ihre Erfahrungen, damit auch weitere Unternehmen und Organisationen davon profitieren können. Aktuell gehören folgende Akteure dazu: die Schweizerische Post, der ETH-Bereich, die Flughafen Zürich AG, Genève Aéroport, PostAuto, PostFinance, die RUAG MRO Holding AG, die SBB, die SIG, Skyguide, die SRG, die Suva, Swisscom, das VBS und die zivile Bundesverwaltung.
Laura Scheiderer Kommunikation Vorbild Energie und Klima, Polarstern
Bild: The Circle Zürich
Immer mehr Restaurants, immer mehr „Shops“, immer mehr Gesundheitseinrichtungen, immer mehr Wohnungen, immer mehr verbaute Flächen. Immer mehr „imposante Gebäude, die sich trotz ihrer Grösse diskret in die Umgebung einfügen“. Toll! Und was ist mir der aufgewendeten grauen Energie? Die geht natürlich immer vergessen.
Ohne „kluge Beschränkung der Ziele und ohne Selbstbegrenzung“ (aus Wikipedia zum Thema Suffizienz) werden wir die Ziele der Energiestrategie 2050 nie erreichen. Aber dies ist in den Köpfen der Mehrheit der Bevölkerung, der Politiker/-innen und der nach wie vor wachstumsgläubigen Wirtschaftsführer/-innen noch nicht angekommen – und es wird vermutlich dort auch nicht ankommen, bis es fünf nach zwölf ist.