Rolle des BFE beim Bau der Spitallamm-Mauer an der Grimsel
Die Wasserkraft nimmt eine bedeutende Rolle ein bei der Energiestrategie 2050. Mit dem Ersatz der Staumauer Spitallamm will die Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) sicherstellen, dass das Wasser aus dem Grimselsee langfristig für die Stromproduktion genutzt werden kann. Im Juni 2019 war Baubeginn, und im Juni 2021 erfolgte die Grundsteinlegung. Ralph Kienle, Fachspezialist in der Sektion Aufsicht Talsperren im Bundesamt für Energie erklärt, welche Rolle das BFE bei diesem Projekt hat.
Energeiaplus: Auf 1900 Metern über Meer bauen die Kraftwerke Oberhasli bis 2025 vor die alte Staumauer eine neue. Die alte Mauer wird dann geflutet. Das BFE hat die Aufsicht über die Sicherheit der Stauanlagen (Talsperren) in der Schweiz. Was ist bei diesem Bau-Projekt die Herausforderung aus Sicht der Aufsichtsbehörde?
Ralph Kienle: Uns ist nicht bekannt, dass bisher jemals unmittelbar auf der Luftseite einer voll eingestauten Staumauer eine neue vorgesehen war.
Die grosse Herausforderung für uns war vor allem am Anfang: Die KWO haben ein Projekt vorgelegt mit der Absicht, die neue Mauer zu realisieren und gleichzeitig die bestehende Stauanlage normal weiter betreiben zu wollen. Sie füllen also den Stausee und entleeren ihn zur Stromproduktion wie bisher.
Was gab es dazu für Überlegungen seitens BFE?
Bei der Projektprüfung während dem Baubewilligungsverfahren war es unsere Aufgabe als Aufsichtsbehörde zu beurteilen, ob alle erdenklichen Schaden- und Versagensszenarien berücksichtigt worden sind. Im Hinblick auf den Aushub für die Fundation der neuen Mauer (Juni 2019 bis November 2020), also für die Spreng- und Felsabtragarbeiten, die im Fundamentbereich der alten Mauer ausgeführt wurden, haben wir vor Baubeginn zusätzliche Stabilitätsnachweise von der KWO verlangt unter Annahme von extremen Szenarien. Diese Nachweise wurden erbracht.
Bei unseren Arbeiten im Zusammenhang mit dem Spitallamm-Projekt werden wir übrigens von einem Ingenieur- und einem Geologie-Experten unterstützt, um die fachlich und auch zeitlich anspruchsvollen Arbeiten meistern zu können.
Was hat sich dann beim Aushub gezeigt?
Während des Felsaushubes hat der Projektgeologe die geologischen Prognosen laufend aktualisiert. Auf Basis der realen Aufnahmen mussten einzelne Stabilitätsnachweise überprüft und neu durchgerechnet werden. Die Resultate haben gezeigt, dass das Projekt planmässig fortgesetzt werden kann.
Ist die eingestaute «alte» Mauer für den zukünftigen Betrieb der Stauanlage Grimsel ein Problem?
Wir haben intensiv diskutiert, ob durch die eingestaute «alte» Mauer Gefahren für die gesamte Stauanlage entstehen können. Wir haben auch hier Neuland betreten, vieles aufgeworfen und verworfen und schlussendlich mit Überzeugung keine massgebenden Gefährdungen identifizieren können.
Wir haben dabei an verschiedene Phänomene gedacht. Eine Auswahl davon: Könnte sich der alte Mauerbeton schneller ausdehnen («Quellen»), wenn die bestehende Mauer von beiden Seiten von Wasser umgeben ist? Welche Auswirkungen hätte das auf die Felsflanken («Wegdrücken» derselben)?
Auch das Be- und Entlüften von Mauerhohlräumen war ein Thema (mehr dazu weiter unten). Weiter haben die KWO durchgerechnet, was passiert, wenn das Wasser im ‘kleinen See’ zwischen alter und neuer Mauer gefriert, ob und wie das den Druck auf die Mauer erhöht (Stichwort Eisdruck). Wasser dehnt sich aus, wenn es gefriert. Der Druck (Eisdruck) auf Objekte, die an eine solche Eisschicht angrenzen, verstärkt sich.
Die heutige Spitallamm-Mauer ist rund 90 Jahre alt und sanierungsbedürftig. Hätte das Wasser aus dem Grimselsee ohne Neubau nicht mehr genutzt werden können?
Die Alterungserscheinungen und die Verschlechterung des Zustands beziehungsweise die vorhandenen Schäden haben stetig zugenommen, zuletzt sogar eher beschleunigend. Mit einem Gutachten von 2011 konnte die KWO zeigen, dass eine unmittelbare Gefährdung für Dritte nicht vorliegt, auch im Erdbebenfall nicht. Die weitere Entwicklung war aber schwer abzuschätzen und musste auf vielen Modellvorstellungen und Annahmen beruhen. Irgendwann wäre die Spitallamm-Mauer und damit der Grimselsee im oberen Teil jedoch unbrauchbar geworden, was bereits zu einem erheblichen Produktionsverlust geführt hätte.
Um eine unklare, unsichere und unplanbare Situation zu vermeiden und im Wissen, dass die Projektierung und Realisierung einer Sanierung oder ein Neubau der Staumauer mehrere Jahre benötigen wird, hat sich das BFE 2015 entschieden, der KWO anzuordnen, die Planungsarbeiten zur Sanierung der Spitallammsperre sofort an die Hand zu nehmen und bis 2017 ein genehmigungsreifes Projekt vorzulegen. Natürlich mit dem Ziel, dass dieses dann auch baulich umgesetzt wird.
Wie begleitet das BFE das Projekt und die Bauarbeiten an der Grimsel?
Im April 2016, ein gutes Jahr vor Abgabe des Genehmigungsprojekts, gab es die erste Besprechung zwischen KWO und BFE. Dabei ging es um die Behandlung von sicherheitstechnischen Fragen zum Bauprojekt. Anfang Juni 2017 haben wir dann die Projektunterlagen von der zuständigen Baubewilligungsbehörde des Kantons Bern erhalten mit dem Auftrag, die sicherheitstechnische Prüfung vorzunehmen.
Unser Ergebnis war: Die neue Staumauer erfüllt die sicherheitstechnischen Anforderungen (Konstruktionsweise, Betonqualität, Überwachung, Hochwassersicherheit, See-Entleerungsmöglichkeiten), sofern gewisse Auflagen eingehalten werden.
Es sind Auflagen, die jede Phase des Projekts betreffen: Vor Baubeginn, während der Bauzeit oder im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme. Zwischen KWO, ihren Planern und ihrem Geologen sowie dem BFE und den Experten, die das BFE beigezogen hat, gibt es regelmässig Sitzungen, um den Stand der Bearbeitung der Auflagen zu besprechen und die Entwicklung des Projekts zu verfolgen.
Seit 2016 gab es 19 Sitzungen in diesem Rahmen. Je nach Jahreszeit finden die Sitzungen vor Ort statt verbunden mit einem Rundgang über die Baustelle. Dabei darf ein Blick auf die herrliche Landschaft und die imposanten Baustelleneinrichtungen natürlich nicht fehlen. Den guten Baufortschritt nehme ich jeweils auch gerne zu Kenntnis.
Wie läuft der Betrieb der Stauanlage beziehungsweise die Nutzung des gespeicherten Wassers während der 6-jährigen Bauzeit?
Völlig uneingeschränkt, mit Ausnahme einer baulich bedingten dreimonatigen Absenkung des Grimselsees Anfang 2025. Wenn die neue Mauer fertig ist, wird die alte Spitallamm-Mauer wie erwähnt geflutet. Dafür braucht es in der bestehenden Mauer Ausgleichs- und Verbindungsstollen, damit die Luft, die sich in den Hohlräumen der Mauer (Kontrollgänge, Verbindungsschächte, Räume für Installationen) befindet, vollständig entweichen kann.
Ansonsten bleiben Luftblasen, die zerstörerische Kräfte entwickeln und an der Mauer unerwünschte Beschädigungen auslösen können. Diese Stollen werden idealerweise nur bei abgesenktem See erstellt. Und auch Verbindungen für Fliesswege von der einen Seite der alten Mauer auf die andere braucht es noch, sonst würde die neue Mauer ja im Trockenen stehen bleiben.
Wie ist das überhaupt möglich, dass der Betrieb uneingeschränkt stattfinden kann?
Das hat folgende Gründe:
Es wurden durch die KWO alle notwendigen Nachweise erbracht (und vom BFE und seinen Experten geprüft), dass die bestehende Mauer weiterhin sämtliche Stabilitätsanforderungen erfüllt. Um für die neue Mauer die notwendige Fundamentzone vorzubereiten, musste mit Sprengtechnik im allernächsten Mauerbereich und direkt am Mauerfuss (siehe Bildergalerie) Fels abgebaut werden. Die Sprengarbeiten selbst waren auch gewissen Einschränkungen unterworfen.
Eine Staumauer ist keine starre Konstruktion, sie ist immer etwas in Bewegung, hauptsächlich wegen der wechselnden Umgebungstemperatur (Tag-Nacht, Sommer-Winter) und wegen dem schwankenden Seestand. Auch bei Normalbetrieb wird das Verhalten aller Staumauern und Staudämme überwacht. Hier wird die bestehende Mauer seit zwei Jahren gemäss einem Überwachungsplan, der gemeinsam durch KWO und BFE erarbeitet und abschliessend vom BFE genehmigt wurde, verstärkt überwacht.
Dazu wurden zusätzliche, teils automatisierte Messinstrumente installiert. Diese erfassen die Werte rund um die Uhr. Bei nicht automatisierten Instrumenten wird während dem ganzen Jahr zum Beispiel zwei Mal pro Woche von den Talsperrenwärtern der KWO eine Messung von Hand durchgeführt. Die Resultate werten die KWO laufend aus und interpretieren sie.
Alle zwei Wochen werden die Daten von der KWO grafisch aufbereitet und in einem Bericht ans BFE übermittelt. Wir beurteilen dann auch noch, ob alles «im grünen Bereich» ist. Sollte dies nicht der Fall sein, müssen die Ursachen ermittelt, die möglichen Konsequenzen abgeschätzt und die notwendigen korrigierenden Massnahmen beschlossen werden. Bis jetzt war letzteres noch nie der Fall.
Fakten zur Stauanlage Grimsel:
Der Grimselsee fasst heute 94 Millionen m3 Wasser (Energieinhalt: 263 Gigawattstunden).
Die bestehende Spitallamm-Mauer ist 113 Meter hoch. Sie wurde von 1926 bis 1932 erstellt. Zur Anlage gehört auch noch die Seeuferegg-Mauer.
125 Millionen Franken kostet die neue Spitallamm-Mauer.Der Grimselsee ist der bekannteste, grösste und wichtigste Stausee der KWO. Er ist eigentlich zu klein für sein Einzugsgebiet – im Sommer muss viel Wasser verstromt werden (weil sonst der See überläuft), das besser im Winter genutzt werden könnte.
Die KWO möchten deshalb die Staumauer um 23 Meter erhöhen. Dadurch würde das Speichervolumen des Stausees um 75 Millionen Kubikmeter auf neu 170 Millionen Kubikmeter vergrössert. Eine Speicherung von zusätzlichen 240 GWh Energie wäre möglich. Damit könnte man 60’000 bis 100’000 Haushalte mit Strom versorgen.
Interview: Brigitte Mader, Kommunikation Bundesamt für Energie
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