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«Heute kommt der Umweltbelastung im Bau von Gebäuden eine viel zu geringe Bedeutung zu»


Die Schweiz will klimaneutral werden – bis 2050 sollen nicht mehr CO2-Emissionen ausgestossen werden als natürliche und technische Speicher aufnehmen können. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es Anstrengungen in allen Bereichen: Gebäude, Mobilität, Industrie und Dienstleistungen. Im Rahmen der Fachtagung nachhaltiges Bauen vom 25. März 2021 erörtern Fachleute die besten Strategien, um das Netto-Null-Ziel im Bausektor zu erreichen. Nicht nur das Gebäude als solches soll CO2-frei betrieben werden. Auch die Materialen für dessen Bau müssen ohne CO2-Emissionen hergestellt werden oder sollen gar als CO2-Speicher wirken. Energeiaplus hat bei Severin Lenel, Geschäftsführer von Intep St.Gallen, einem Beratungs- und Forschungsunternehmen für nachhaltiges Bauen und nachhaltige Entwicklung, nachgefragt.

Energeiaplus: Herr Lenel, wo stehen wir heute auf dem Weg zum Netto-Null-Gebäude?
Severin Lenel: Leider sind wir heute noch sehr weit davon entfernt, Netto-Null im Gebäudebereich zu erreichen. Alleine bei der Erstellung emittiert ein durchschnittliches Gebäude heute 10 bis 12 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter und Jahr. Im Vergleich zum Betrieb hat die Umweltbelastung bei der Erstellung in den letzten Jahren sogar zugenommen. Dies weil die Gebäudetechnik immer komplexer wird und gleichzeitig die Gebäude im Betrieb effizienter und fossilärmer werden. Hinzu kommt, dass der Umweltbelastung in der Erstellung von Gebäuden, also z.B. bei der grauen Energie, noch eine zu geringe Bedeutung zukommt. Der Gesetzgeber regelt ausschliesslich den Betrieb.

Sie forschen in Richtung Netto-Null-Gebäude. Wie erreichen wir dieses Ziel?
Es gibt verschiedene Hebel, bei denen wir ansetzen können. Zum einen sollte man die Baustoffindustrie in die Pflicht nehmen. Die Produktion der Baustoffe muss sukzessive auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Technisch ist eine komplette Umstellung heute noch nicht möglich, aber etwa die Hälfte der mit der Baustoffherstellung verbundenen CO2-Emissionen liessen sich durch den konsequenten Einsatz von erneuerbaren Energien einsparen. Weiter müssen wir die Bauweise unserer Gebäude überdenken. Umweltbelastende Stoffe wie Zement, Metalle oder Kunststoffe müssen wo möglich durch nachwachsende oder unverarbeitete Baustoffe, also Pflanzenfasern, Holz, Lehm, Naturstein etc. ersetzt werden. Und nicht zuletzt sollten wir unseren Konsum einschränken. Bestehende Gebäude sollten wenn immer möglich energetisch saniert und nicht abgebrochen werden. Und wenn es dann doch nicht anders geht, sollte das Material von abgebrochenen Häusern unbedingt recycelt und wieder verbaut werden. Grundsätzlich gibt es aber nicht den einen Königsweg. Wir müssen alle drei erwähnten Hebel einsetzen, damit wir in die Nähe des Netto-Null-Gebäudes kommen.

Wo sehen Sie denn im Moment die grössten Hemmnisse auf dem Weg zum Netto-Null-Gebäude?
Uns fehlt nach wie vor eine Alternative zum CO2-intensiven Zement und damit zum Beton. Wir können nicht darauf verzichten, weil beispielsweise Keller heute fast nur aus Beton gebaut werden können. Getrieben von den Ansprüchen an den Komfort wird auch die Haustechnik im Gebäude immer umfangreicher und komplexer, was ebenfalls zu höheren CO2-Emissionen im Lebenszyklus führt. Und letztlich spielt das Thema der Umweltbelastung über den Lebenszyklus des Gebäudes in der Planung eine viel zu kleine Rolle. Die meisten Architekten nehmen die Ästhetik gegenüber der Nachhaltigkeit immer noch als viel wichtigeres Thema wahr.

 

Online-Fachtagung zum Thema nachhaltiges Bauen
Die Fachtagung nachhaltiges Bauen findet in diesem Jahr unter dem Titel «Netto-Null – Wege zum klimaneutralen Bauen» statt. Am 25. März 2021 treffen sich Expertinnen und Experten online und diskutieren über Konzepte und Leuchtturmprojekte aus dem Bereich klimaneutrales Bauen. Severin Lenel (siehe Interview oben) wird über Konzepte für den Bau von Netto-Null-Häusern referieren. Alle Informationen sowie die Anmeldung zur Veranstaltung finden Sie unter www.ftnb.ch.

 

Interview: Sabine Hirsbrunner, Kommunikation BFE

Bild: Der Neubau auf dem UVEK Campus an der Pulverstrasse 11 in Ittigen ist gemäss dem Standard nachhaltiges Bauen (SNBS) zertifiziert.

1 Antwort
  1. Werner Zumbrunn
    Werner Zumbrunn sagte:

    Heute wird – auch von Fachleuten oder Ämtern – häufig von „Niedrigenergiehäusern“ oder gar „Nullenergiehäusern“ gesprochen, obwohl diese noch weit von diesem Ziel entfernt sind. So täuscht man die Besitzer/-innen solcher Häuser und lässt sie glauben, sie seien Energiepioniere. Manchmal ist das Gegenteil der Fall.
    Herr Lenel nennt zwei wichtige Dinge, die meist unterschlagen werden:
    1. Immer mehr grauer Energieeinsatz wegen aufwendiger Gebäudetechnik. Der Anteil der (unberücksichtigten) grauen Energie übersteigt häufig die Betriebsenergie. Die MuKEn 2014 z. B. berücksichtigt nur die letztere – ein grosser Mangel.
    2. Es werden häufig Gebäude abgerissen – auch Spitäler, Altersheime etc. -, die kaum 40 Jahre alt sind. Dabei werden riesige Mengen von grauer Energie vernichtet.

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