90 Jahre Bundesamt für Energie: Wie der steigende Stromexport 1930 zu seiner Gründung führte
90 Jahre alt wird das Bundesamt für Energie am 1. Oktober 2020. 90 Jahre, in denen das Amt unter drei verschiedenen Namen agierte – Eidgenössisches Amt für Elektrizitätswirtschaft, Eidgenössisches Amt für Energiewirtschaft und schliesslich Bundesamt für Energie (BFE). 90 Jahre unter der Leitung von nur gerade fünf (!) Direktoren. 90 Jahre geprägt von Versorgungskrisen, zahlreichen technologischen Innovationen und energiepolitischen Debatten. In einer dreiteiligen Blogserie blicken wir zurück auf bewegte Jahrzehnte. Im ersten Teil lesen Sie, wie alles begann. «Es ist nicht notwendig, ein neues Amt für Elektrizitätswirtschaft zu schaffen. Man muss sich bestreben, mit den bestehenden Aufsichtsorganen auszukommen und die Bundesverwaltung nicht unnötig zu erweitern.» (Quelle: Neue Zürcher Zeitung 6.11.1929). Das schrieb der Bundesrat 1928 als Antwort auf ein Postulat aus dem Nationalrat.
Begeisterung tönt anders. Für den Bundesrat war ein neues Amt, das Statistiken über die Produktion und den Verbrauch oder über die Ein- und Ausfuhr von Strom erstellt, nicht nötig.
Zum ersten Mal tauchte die Frage nach einem eigenständigen Bundesamt für die Elektrizitätswirtschaft 1921 auf – vorerst indirekt. Der Berner Nationalrat Gottfried Gnägi, Bauer und Vater des späteren Bundesrates Rudolf Gnägi, sorgte sich um die Elektrizitätsversorgung der Schweiz. Er wollte, dass der Bund das Ruder in die Hand nahm, um «eine rationelle und planmässige Entwicklung zu sichern». Dazu hätte es dann auch ein neues Bundesamt gebraucht, was Gnägi in seinem Vorstoss aber nicht ausdrücklich gefordert hatte. Der Hintergrund zu Gnägis Vorstoss: Der Stromverbrauch war in den Nachkriegsjahren stark gestiegen. Statt Petrollampen leuchteten elektrische Lichter, Motoren wurden mit Elektrizität angetrieben. Mehr über die Energiefragen in der Nachkriegszeit gibt es nachzulesen im Blog «1918: Krieg, Energiemangel, Spanische Grippe – Teil 2»
Wildwuchs beim Bau von Wasserkraftwerken
Gleichzeitig wurden in dieser Zeit viele Wasserkraftwerke gebaut, auch als Reaktion auf den Mangel an Kohle und Petrol während des ersten Weltkriegs. Dieser Boom liess die Preise für elektrische Energie in den Keller fallen. Doch der Bundesrat wollte den Kantonen, die die Konzessionen für die Nutzung der Wasserkraft erteilten, nicht dreinreden. Zwei Jahre später war der Ruf nach einer neuen Behörde dann unmissverständlich. Auch ein Berner – SP-Nationalrat Robert Grimm -setzte das Thema auf die politische Agenda. In seinem Postulat forderte er 1923:
„Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und beförderlichst zu berichten: 1. Ob die Praxis der Erteilung von Exportbewilligungen für elektrische Energie nicht in dem Sinne zu ändern sei, dass inskünftig Exportbewilligungen nur noch erteilt werden, wenn die betreffende Energiemenge vorher zum Exportpreise dem Inlandkonsum offeriert worden ist; 2. ob nicht der Energieaustausch im Inland durch das Sammelschienensystem von Bundes wegen zu ordnen sei.“
Grimm befürchtete, dass der inländische Strom billig ins Ausland verschachert werde und verlangte, dass «der Bedarf des Inlandes sichergestellt werden müsse, bevor der Bedarf des Exportes befriedigt sei».
«Starker Energiehunger im Ausland»
In seiner Rede im Nationalrat, die in der Zeitung des Schweizerischen Metall-und Uhrenarbeiterverbandes SMUV im Juli 1930 abgedruckt wurde, sagte Grimm: «Im Ausland besteht ein sehr starker Energiehunger. Das Bedürfnis nach elektrischem Strom ist dort eigentlich erst im Werden begriffen. Man wird also versuchen, die neugewonnene Energie soweit als möglich im Ausland zu placieren.» Für Grimm stellte sich nicht die Frage, ob die Schweiz Strom exportieren solle oder nicht. Vielmehr müsse man klären, wie man diesen «nationalen Rohstoff» im Interesse der schweizerischen Volkswirtschaft verwendet.
Baumwolle gegen Strom
«Kein vernünftiger Mensch, der in die Verhältnisse Einblick hat, wird sagen wollen, die Schweiz dürfe überhaupt keine Energie exportieren, keine Kilowattstunde solle ins Ausland gehen. Wir befinden uns genau in derselben Lage wie jene Länder, aus denen wir einen gewaltigen Rohstoff- und Lebensmittelimport zu verzeichnen haben.» Er verwies dabei auf die Baumwolle oder das Eisen, Güter, bei denen die Schweiz auf Importe angewiesen war. Oder anders gesagt: Verhängt die Schweiz Restriktionen beim Strom-Export, dann könnten die anderen Länder ihrerseits Einschränkungen verhängen.
Mittlerweile war die Schweiz zu einer grossen Strom-Exporteurin geworden. Und Grimm rechnete den Nationalräten vor: «Der Export war im Jahre 1916 mit 296 Millionen Kilowattstunden beteiligt, im Jahre 1929 mit 1,059 Milliarden, das heisst: die Exportquote ist von 18 auf 28 Prozent gestiegen und beträgt nahezu ein Drittel der gesamten Produktion.» 1916 (also während des 1. Weltkriegs) wurden 1,45 Milliarden Kilowattstunden produziert,1929 war es mehr als doppelt soviel, 3,763 Millionen Kilowattstunden. Er war deshalb der Meinung, «dass es Aufgabe des Bundes sei, die Verhältnisse abzuklären und die erforderlichen Massnahmen zum Schutz des Inlandkonsums zu treffen.»
Bundes-Konzession für Wasserkraft
«Wir müssen orientiert sein über unsere Produktionsmöglichkeiten, über die Absatzmöglichkeiten, wir müssen den Bedarf kennen, wir müssen das Verhältnis zwischen Inlandverbrauch und Export ordnen, sonst werden wir das Gut, das uns von der Natur in so reichem Masse anvertraut ist, einmal falsch verwalten und zum andern sonstige volkswirtschaftliche Schäden erleiden können.» (Aus: SMUV-Zeitung vom 19. Juli 1930). Alle Macht dem Bund, war Grimms Losung. Der Bund sollte die Konzession für alle wichtigen Wasserkräfte erteilen. Und der Staat solle die Elektrizitätswerke betreiben, damit er die Nutzung der Werke und die Regelung des Absatzes in der Hand hatte.
Eine Bundes-Konzession für Wasserkraftwerke: Diese Idee von Grimm setzte sich indes nicht durch. Dass der Bund Zahlen und Statistiken zur Hand hatte über Produktion und Verbrauch, Import und Export von Strom, das erachtete schliesslich auch der Bundesrat als sinnvoll. Im Januar 1930 beschliesst der Bundesrat darum die Schaffung des Eidgenössischen Amtes für Elektrizitätswirtschaft – zunächst provisorisch. Die Aufgaben des neuen Bundesamtes:
Am 1. Oktober nimmt das Amt seine Tätigkeit auf. Im Voranschlag für das Jahr 1931 sind für das neu geschaffene Amt 250’000 Franken vorgesehen. Es ist dem Post- und Eisenbahndepartement unterstellt. Erster Direktor wird der 36-jährige Elektroingenieur Florian Lusser, der zuvor bei den Kraftwerken Brusio in Poschiavo GR gearbeitet hatte. Er hatte acht Mitarbeitende zu führen. Als Stellvertreter ernannte der Bundesrat Harold Zangger. Dieser verstarb nur zwei Jahre später an den Folgen einer Grippe.
Seinen Sitz hatte das Amt für Elektrizitätswirtschaft am Bollwerk 27 in Bern. Die Eidgenossenschaft hatte das Belle Epoque-Gebäude 1907 gekauft, als die Betreiber des dortigen Hotels National Konkurs gegangen waren. Wo einst illustre Gäste ein- und ausgingen, wurden nun unter anderem Zahlen über Stromproduktion und -verbrauch gebündelt und ausgewertet.
Im zweiten Teil des Blogs schauen der amtierende Direktor Benoît Revaz und die beiden Alt-Direktoren Eduard Kiener und Walter Steinmann zurück. Wie die Erdölkrise, der Reaktor-Unfall in Tschernobyl und Fukushima die Schwerpunkte des BFE veränderten und warum Ausland-Reisen früher nicht gern gesehen waren, erfahren Sie im Podiumsgespräch zum 90. Geburtstag des BFE. Im dritten Teil dieser Blogserie geht es um 90 Jahre im Dienst der Energieversorgung der Schweiz.
Brigitte Mader, Kommunikation Bundesamt für Energie
Titelbild: Bundeshaus und Parkplatz, 1930 (Quelle: parlament.ch)
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