Tschüss Ittigen – Bienvenue Bruxelles. Meine Versetzungsreise in die EU-Hauptstadt
Anfangs April 2019 erhielt ich von der Geschäftsleitung des Bundesamts für Energie BFE den Bescheid, dass ich nach zehn Jahren in Ittigen ab August 2019 für vier Jahre die Stelle als Energiebeauftragter bei der Schweizer Mission bei der EU in Brüssel besetzen darf.
Nach einigen Vorstellungsrunden bei Vorgesetzten und Kolleginne und Kollegen des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA sowie einer mehrtägigen «Voyage de Reconnaissance» nach Brüssel nahm ich die Planung der Versetzungsreise in Angriff. Fliegen wollte ich für eine so kurze Distanz aus energetischen Gründen nicht, ein Auto habe ich nicht. Ich konzentrierte mich also auf die Alternative Zug, denn trotz – steuerlich bedingter – preislicher Nachteile dauert die Zugreise mit rund acht Stunden von Tür zu Tür kaum länger als die Flugreise.
In den letzten zehn Jahren habe ich mich im Rahmen der Themen Elektromobilität, Emissionsvorschriften für Fahrzeuge und Energieeffizienz intensiv mit den Problemen beschäftigt, die sich aus der Art und Weise ergeben, wie wir unsere Mobilität gestalten. Der Klimawandel ist hier nur das aktuell prominenteste Beispiel – leider wird die Problematik heute aus vielerlei Gründen oft auf die CO2-Emissionen reduziert. Doch auch in Bezug auf Luftqualität, Lärm, Biodiversität, Gewässerschutz, Rohstoffverbrauch, Geopolitik sowie Menschenrechte schaffen wir durch unser Mobilitätsverhalten für uns selbst und unsere Kinder komplexe Probleme, deren Lösung immer dringlicher wird.
Diese grundsätzlichen Überlegungen führten schliesslich dazu, dass ich meine Reisepläne nochmals überdachte. Da ich privat gerne Fahrrad fahre, kam mir der Gedanke, ich könnte die Versetzungsreise auch mit dem Fahrrad antreten. So suchte ich eine velotaugliche Route, kaufte einen Anhänger für das nötigste Gepäck, reservierte die Hotels zwischen Bern und Brüssel und klärte die nötigen, administrativen Details mit dem EDA – was mangels Präzedenzfall nicht ganz einfach war.
Am 29. Juli ging es los. Die Reise führte mich über den Jura und Doubs in die Franche-Comté, über die Hügel der Vogesen, der Mosel entlang nach Nancy, weiter durch Lothringen entlang der Maas nach Verdun, am Südende der Ardennen vorbei, nördlich von Charleville-Mézières über die französisch-belgische Grenze, Richtung Abbaye de Chimay, durch die Kohlestadt Charleroi und Waterloo nach Brüssel. Landschaftlich wunderschön, kulturell interessant im Herzen von Westeuropa, historisch bedeutend (im Reich von Karl dem Grossen und den Schlachtfeldern von Verdun, den Ardennen und Waterloo), sowie gastronomisch ausgezeichnet. Eine Reise, die ich von Herzen jeder und jedem weiterempfehlen kann.
Insgesamt hat die Reise sieben Tage gedauert. 35 Stunden sass ich im Velosattel, bin 770 Kilometer geradelt und habe dabei 7’340 Höhenmeter erklommen. Mit einer durchschnittlichen Leistung von 125 Watt Endenergie auf dem Pedal und einem Wirkungsgrad meines Körpers, Nahrung in Energie umzuwandeln, von 30 Prozent, verbrauchte ich total 4,140 Kilowattstunden Endenergie oder 14,280 Kilowattstunden Bruttoenergie. Damit habe ich auf 770 Kilometern gerade mal 1,7 Liter Benzinäquivalente verbraucht. Dieselbe Energie lässt sich auch gewinnen aus 5,5 Kilogramm Charolais Rindfleisch, 4,7 Kilogramm Baguette, 3,4 Kilogramm Comté-Käse, 2,8 Kilogramm Balisto-Riegeln, 17 Litern Burgunder Pinot Noir, 30 Litern Bier aus der Abbaye de Chimay oder 47 Litern Isostar. Bei mir war es eine nicht mehr bestimmbare Kombination von allem.
Nun bin ich an meinem neuen Arbeitsplatz bei der Schweizer Mission am Place du Luxembourg 1 angekommen. Ich freue mich darauf, die Institutionen und Köpfe der EU-Energiepolitik in den nächsten vier Jahren näher kennenzulernen, mit ihnen gemeinsam Lösungen für die europäischen Energieprobleme zu diskutieren, die Interessen der Schweizer Energiepolitik in Brüssel zielgerichtet einzubringen und die europäischen Entwicklungen zu analysieren und zurück nach Bern zu rapportieren. Mit einer gewissen Genugtuung stelle ich fest, dass die EU im Bereich Energie- und Klimapolitik mit raschem Tempo vorwärts macht. Hier nur einige Beispiele: Das Ziel Netto Null CO2-Emissionen bis 2050 wird der Europäische Rat voraussichtlich bis Ende 2019 formell beschliessen. Die finnische EU-Ratspräsidentschaft hat das Thema Klima zur Priorität ernannt. CO2-Emissionsvorschriften für neue Personenwagen sind für 2025 bereits auf rund 80 Gramm CO2/km und für 2030 auf rund 60 Gramm CO2/km beschlossen. Zudem arbeitet die EU-Kommission mit dem neuen Gas-Paket an einem regulatorischen Rahmen, der dafür sorgen soll, dass in europäischen Gasnetzen ab 2050 kaum oder kein Erdgas mehr enthalten ist. Und sogar auf den Strassen Brüssels sieht man von Tag zu Tag mehr Fahrräder, E-Trottinetts und Langsamverkehr.
Satellitennavigation war für meine Versetzungsreise übrigens nicht ganz unwichtig, auch wenn es diesbezüglich mit dem Rennfahrrad einige Holpersteine gibt – die Option Auto führt auf grosse, vielbefahrene Strassen, die man eigentlich vermeiden möchte. Die Option Fahrrad führt auf schöne Fahrradwege, die aber jederzeit unverhofft an einem Feld oder an einem Kiesweg enden können. Dementsprechend freue ich mich, mich nebst energiepolitischen Themen im Nebenmandat auch dafür einsetzen zu können, dass die Schweiz ein gleichberechtigter Partner am Projekt des europäischen Satellitensystems Galileo bleiben kann.
Christian Bühlmann, Botschaftsrat Energie und Galileo, Mission der Schweiz bei der EU, Brüssel
Ist da die graue Energie mit einberechnet 😉 ? Alles Gute nach Brüssel! MG
Gratuliere zu diesem weisen und unterhaltsamen Beitrag! Bitte weiter so.
Danke für den guten Beitrag. Es ist ein tolles Vorbild und sicher nicht einfach einen Umzug mit so wenig Gepäck zu bewerkstelligen. Allerdings muss man sagen, dass es kein Problem wäre, wenn nur Menschen ein Auto oder den Zug benutzen, die umziehen oder etwas transportieren wollen. Ein grosses Problem sind ja eher die viele Freizeit und Spassfahrten und natürlich die regelmässigen Fahrten zum Arbeitsort. Aber ich bin froh, dass die Schweiz in Brüssel von jemandem vertreten wird, der so ein grosses Engagement für das Velo zeigt.
Toll die Daten und die Reise, aber der Unfall Risiko war eher hoch ….. oder ?. Wie waere die Energiebilanz a) mit dem Flugi insgesamt Anreise und Ankunft am wirklichen Destinat (Placede Luxembourg 1) – Bruessel – BE – b) mit der Bahn unter den selben Bedingungen wie unter a). Viele Gruesse.