In der Nachhaltigkeitsdebatte haben sich die drei Strategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz etabliert. Ihnen gemeinsam ist das Ziel, auch in Zukunft eine ökologisch und sozial verträgliche wirtschaftliche Entwicklung zu gewährleisten. Über effiziente Technologien erhofft man sich beispielsweise eine sinnvolle und ergiebige Nutzung von Rohstoffen und Energie, etwa bei Minergie-Häusern, was häufig zu einer Kostenersparnis führt. Durch Konsistenzmassnahmen sollen Stoff- und Energiekreisläufe geschlossen werden, so dass beispielsweise aus Abfällen neue Rohstoffe oder Energie und Strom gewonnen werden können. Diese Anstrengungen werden in der Regel positiv gesehen. Mit dem Konzept der Suffizienz – dem Bemühen um einen möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch – werden hingegen Selbstbegrenzung, Entschleunigung, Konsumverzicht und Entkommerzialisierung in Verbindung gebracht, was vielfach als Einschränkung der Freiheit bzw. als individuelle Belastung verstanden und daher negativ konnotiert wird: „Muss“ ich wirklich auf mein geliebtes Bad am Abend verzichten, nur weil Duschen weniger ressourcenverbrauchend ist?
In der Tat hat die Suffizienzstrategie eine normative Komponente und ist stärker als die Konzepte der Effizienz und Konsistenz mit individuellen Lebensstilfragen verknüpft. In der Trias der Nachhaltigkeitsstrategien ist sie aber ein wichtiges Element und kompensiert Schwächen und Mängel der anderen Strategien, wenn man beispielsweise an den Rebound-Effekt der Effizienzstrategie denkt. Ohne einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung kann die Suffizienzstrategie jedoch kaum sinnvoll und zielführend umgesetzt werden. In den letzten Jahren lässt sich ein allmählicher Wertewandel beobachten und Begriffe wie „Entschleunigung“, „Entkommerzialisierung“ oder „Entrümpelung“ werden zunehmend positiv besetzt. Im Sinne eines „Weniger ist mehr“ wird Suffizienz diesbezüglich als etwas Gewinnbringendes, Genussvolles und Erfreuliches verstanden.
Werte sind zeitlich stabil und sehr veränderungsresistent, weshalb der zu beobachtende Wertewandel nicht von heute auf morgen geschehen kann. Es sind kleine, wiederkehrende Schritte und die Festigung eines neuen Lebensstils hin zu einer neuen sozialen Norm notwendig, bevor Suffizienzstrategien eine Breitenwirkung entfalten können. Es zeigt sich, dass die mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit gegenüber suffizienten Lebensstilen inzwischen grösser geworden ist und Suffizienz innerhalb von Nachhaltigkeitsstrategien mehr Gewicht bekommt. Beispiele für diesen Wandel sind der bekannte Tiny House-Trend aus den USA, der Boom von Repair-Cafés und Sharing-Konzepten, das zur Mode werdende Upcycling, die Beliebtheit individueller handgemachter Produkte gegenüber Massenwaren oder die Food Waste-Bewegung. Fürsprecherinnen und Fürsprecher all dieser Trends und Entwicklungen betonen den Gewinn an Lebensqualität, Freiheit, Individualität, Genuss und Kreativität, ohne explizit von Suffizienz zu sprechen oder „belehren“ zu wollen. Zwar sind die Trends und Entwicklungen für mehr Suffizienz vielversprechend und könnten langfristig Breitenwirkung entfalten, in der gesellschaftlichen Diskussion sind sie aber noch lange kein „Massenphänomen“.
Kreative Ideen zur Stärkung von Suffizienzstrategien gesucht
Wer Suffizienz in der beschriebenen Weise stärken will, muss sich für neue Strategien stark machen, nämlich innovative Ideen, die nicht nur „trendbewusste Ökofans“ ansprechen, sondern den Nerv einer breiten Gesellschaft treffen. Die Stiftung Risiko-Dialog möchte in diesem Sinne spannende und vielversprechende Ideen für innovative Strategien suffizienter Lebensstile stärken. Im Rahmen von drei „Ideen-Werksstätten“, die im Frühjahr und Sommer 2016 stattfinden, soll Suffizienz im Kontext der Bereiche Wohnen, Mobilität und Konsum diskutiert werden. Zu jedem dieser Themenfelder können kreative Köpfe innovative Projektideen zur Suffizienz vorstellen. Etwa: Gartenlauben aus alten PET-Flaschen, die gemeinsame Velo-Benutzung durch eine Bürogemeinschaft oder ein Kühlschrank in einer Mietergemeinschaft mit Lebensmitteln für jedermann, die man selbst nicht mehr braucht.
Die drei „Werksstätten“ dienen dazu, die eigenen Ideen einem praxiserfahrenen, interessierten und interdisziplinären Expertenteam vorzustellen und sich konstruktive Inputs für deren Weiterentwicklung abzuholen. Zu den Werkstätten werden unter anderem Expertinnen und Experten von der Stadt Zürich – Abteilung Energie und Nachhaltigkeit, dem WWF Schweiz, Impact Hub Zurich, von PUSCH, Eartheffect GmbH, Econcept AG, der Crowdfunding Plattform 100-days.net, der Essence Relations GmbH sowie der Stiftung Mercator Schweiz und der Stiftung Risiko-Dialog kommen. Zum Abschluss einer jeden „Werkstatt“ wird eine Idee ausgewählt, die am meisten Potenzial zur Weiterentwicklung und zur Praxisreife verspricht. Die entsprechenden Gewinner erhalten die Möglichkeit, ihre Projekte im Herbst 2016 auf einer grösseren Tagung einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.
Mit den „Ideen-Werksstätten“, die durch die Stiftung Mercator Schweiz und EnergieSchweiz gefördert werden, möchte die Stiftung Risiko-Dialog originelle und gleichzeitig gesellschaftsorientierte Suffizienzideen unterstützen, um so eine Plattform für Suffizienz-Networking in der Schweiz zu etablieren und das öffentliche Bewusstsein rund um innovative Suffizienzstrategien zu steigern – Strategien also, die eine attraktive und kreative Form erlauben, das eigene Leben nachhaltig zu gestalten. Die Auswahl interessanter Projektideen für die drei „Ideen-Werkstätten“ erfolgt aktuell über eine öffentliche Ausschreibung. Weitere Informationen sind zu finden unter www.risiko-dialog.ch/suffizienz.
Daniel Gregorowius, Projektleiter, Stiftung Risiko-Dialog
Anna-Lena Köng, Projektleiterin, Stiftung Risiko-Dialog
Die Links führen bereits zu einigen Studien. Gibt es neben Niko Paech in Deutschland auch vergleichbare Vorkämpfer in der Schweiz bzw. Best-Practice?