In den Achtzigerjahren war ich als Wirtschaftsförderer des Kantons Basel-Landschaft Mitglied einer vom Bund einberufenen Gruppe, welche die Möglichkeiten zur Rettung der schweizerischen Uhrenindustrie zu prüfen hatte. Geleitet wurde das Gremium von Jean-Pierre Bonny, dem damaligen Direktor des Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit. Die Analysen und Konzepte wurden von der damals in der Schweiz noch wenig bekannten Beratungsfirma Hayek-Engineering gemacht und vom Firmenchef Nicolas Hayek persönlich präsentiert. Er zeigte uns immer wieder auf, dass nur durch einen umfassenden Umbau der stark durchkartellierten und mit vielen wettbewerbsbehindernden Absprachen abgesicherten Branche zumindest ein Teil der Arbeitsplätze erhalten werden könnte. Wir haben mit ihm damals ziemlich oft und intensiv „gefightet“, weil unsere Chefs, die Volkswirtschaftsdirektoren der Uhrenkantone, uns vorgaben, möglichst viele Arbeitsplätze falls nötig mit Subventionen zu retten und die bestehenden Uhrenfirmen mit ihren Sitzen in den einzelnen Kantonen als Steuerzahler zu erhalten.
Hayek machte uns aber klar, dass in der Schweiz entwickelte aber nur von den Konkurrenten in Japan eingesetzte Technologien die bisherige Position der Schweizer Uhrenindustrie unwiderruflich ins Wanken gebracht hatten. Und er stellte fest, dass durch die Vielzahl von Firmen, die nur je ein einzelnes Teil der Uhren produzieren oder einen Arbeitsgang verrichten, immense Produktionskosten anfallen und gleichzeitig Rationalisierungen verhindert werden. Hayek entwickelte die Vision einer Uhr, die mit der Hälfte der bisher verwendeten Teile funktioniert und vollautomatisch in einer einzigen Fabrik von A-Z hergestellt wird. Das war ein ziemlicher Schock für uns, denn in den Tälern des Jurabogens gab es viele Firmen, die nur gerade die Uhrenschale, den Anker oder das Zifferblatt herstellten. Wir befürchteten immense Arbeitslosigkeit, soziale Konflikte und langfristig ausgestorbene Regionen.
Hayek entwickelte basierend auf seiner Vision ein konkretes Konzept, das die Rettung wichtiger Teile der Branche ermöglichen sollte. Die Banken waren zu einem grösseren Abschreiber bereit und Hayek brachte eine Reihe von privaten Geldgebern zusammen, die gemeinsam mit ihm die neue Firma gründeten. Die Kantone und der Bund halfen in der Startphase subsidiär mit Bürgschaften, Zinsverbilligungen und Steuererleichterungen. Ein Werk nach dem anderen nahm die Produktion für die neue Swatch auf, so in Grenchen, im Wallis, im Tessin, im Jura oder im Berner Jura. Heute ist die aus den Trümmern der Uhrenbranche entstandene Firma Swatch eine echte Perle der Volkswirtschaft, bietet viele spannende Arbeitsplätze und zahlt in Kantonen wie Bern, Wallis, Solothurn und Jura nicht wenig Steuern.
Befindet sich unsere Elektrizitätswirtschaft heute in einer ähnlichen Phase des umfassenden Wandels wie damals die Uhrenindustrie? Angesagt sind Europäisierung, Wettbewerb und neue Technologien. Aus bisherigen Strombezügern werden Kunden mit Wünschen und individuellen Bedürfnissen. Durch die Konvergenz der Netze treten neue Anbieter, insbesondere aus dem Informatik- und Telekommunikationssektor, in den Strommarkt ein, um einen Teil der Wertschöpfung und Gewinne für sich zu sichern. Hochschulen und clevere Anwender führen neue Mess- und Steuerungstechnologien ein. Wir sprechen über neue Speicher, über anreizbasierte Effizienzprogramme oder über sinkende Produktionskosten der bisherigen „Alternativenergien“.
Doch ein Teil der Strombranche ist noch immer in der Fukushima-Schockstarre. Sie sehen die Wurzel allen Übels in den erneuerbaren Energien, fordern Abschottung und Subventionen, in der Hoffnung, so ihr in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreiches Businessmodell wieder zu beleben. Mit ihnen hoffen auch einige kantonale Regierungsräte, auf diese Weise die bisher reichlich sprudelnden Einnahmen aus ihren Beteiligungen zu erhalten. Doch sollten sie sich bewusst machen, dass unternehmerisches Handeln in der Elektrizitätsbranche – wie in jedem anderen Markt – nicht nur Chancen sondern auch Risiken beinhaltet: Notfalls muss der Aktionär bereit sein, das Unternehmen zu stützen und mit neuem Kapital auszustatten, wenn es nach vielen guten Jahren plötzlich ums wirtschaftliche Überleben geht.
Ein anderer Teil der Strombranche, insbesondere auch viele kleinere Elektrizitätsunternehmen, hat sich bereits auf den Weg in die Zukunft gemacht, entlang den Leitlinien der Energiestrategie 2050. Sie testen die neuen Möglichkeiten, kaufen auf den europäischen Strommärkten ein, stellen immer mehr erneuerbare Energien in Eigenproduktion her und bieten den Konsumenten Dienstleistungen, die zu einer echten Kundenbindung führen.
Für mich ist klar: Wir brauchen für den anstehenden Strukturwandel Wettbewerb und insbesondere auch einen nach Europa offenen Markt. Wir brauchen Eigentümer, die mit ihren Stromunternehmen auch Szenarien einer Integration und Kooperation prüfen: Wenn die Margen sinken, müssen wie damals in der Uhrenindustrie ganze Produktions- und Vertriebsstufen in Frage gestellt werden. Vor allem aber brauchen wir jetzt viele mutige Innovatoren im Stile Hayeks, welche die aktuellen Herausforderungen aktiv angehen und neue Lösungen suchen.
Walter Steinmann, BFE-Direktor
Die Strombranche muss die alten Pfade verlassen und neue Wege gehen – nur „long“ ist wrong. Wir werden keine Erholung der Energiepreise in der nahen Zukunft sehen und es braucht „Strom-Hayeks“ – keine Frage.
Innovation, Integration und Internationalisierung sind sicherlich die richtigen strategischen Eckpfeiler.