Harmonische Labelfamilie – Neuerungen bei den Schweizer Gebäudelabel
Ab Herbst 2023 wird vieles neu bei SNBS und Minergie: Die Trägerorganisationen haben die Schweizer Gebäudelabel harmonisiert. Anfang Juni 2023 informierten das Bundesamt für Energie und die Organisationen die Öffentlichkeit. Neu gibt es eine zentrale Plattform, wo die Gesuche für eine Zertifizierung eingereicht werden können. Energeiaplus zeigt auf, was alles neu wird und warum.
Die wichtigsten Neuerungen:
- Minergie und SNBS neu auch für Areale.
Das Label 2000-Watt-Areal wird dadurch abgelöst. Die Grundlagen für die Berechnung von Energieverbrauch und Emissionen wurden vereinheitlicht. - Verschärfung der Minergie-Standards – bei der Eigenstromproduktion, Treibhausgasemission beim Bau, Heizwärmebedarf und Wärmeschutz im Sommer
- Eine einzige Zertifizierungsplattform für die Abwicklung der Gesuche
- Eine Betriebsorganisation für die Zertifizierung
Die Labelfamilie auf einen Blick:
Wem bringen diese Neuerungen etwas und warum überhaupt diese Anpassungen? Das wollte Energeiaplus von Christian Stünzi, Leiter Zertifizierung Minergie und SNBS wissen. Er hat den Harmonisierungsprozess begleitet.
Energeiaplus: Ich habe ein älteres Einfamilienhaus gekauft. Nun steht eine aufwändigere Sanierung an, damit mein Haus den neusten Anforderungen punkto Energieeffizienz und Nachhaltigkeit genügt. Was bringen mir als Hausbesitzerin diese Neuerungen bei den Gebäudelabel?
Christian Stünzi: Die Label sind nun perfekt aufeinander abgestimmt und durchlässig. Zuerst macht man am besten einen GEAK Plus – und weiss damit, wie viel Energie das Gebäude braucht und wie man es sanieren könnte. Der GEAK Plus ist zwingend, wenn man eine Förderung von über 10’000 Franken erhalten will. Nach der Sanierung kann die Hausbesitzerin das Gesuch für eine Minergie-Zertifizierung stellen. Das Label attestiert eine unabhängige Qualitätssicherung für die Umsetzung und es ergibt sich auch ein Mehrwert punkto Komfort. Bei Grossprojekten können Sie Ihr Gebäude noch mit dem Label SNBS-Hochbau zertifizieren lassen, um die Nachhaltigkeitsthemen ganzheitlich abzudecken.
Inwiefern erleichtern die Neuerungen bei den Label die Arbeit der Planerin, des Architekten?
Neu basieren alle Label auf den Berechnungsgrundlagen des GEAK, sei es bei der Energie oder den CO2-Emissionen. Und auf der neuen Label-Plattform werden auch die Erfassung der Nachweise und der Ablauf der Zertifizierung vereinheitlicht. Der grösste Mehrwert ist aus meiner Sicht aber eine klare Positionierung der drei Marken GEAK, Minergie und SNBS bezüglich ihrer Wirkung für die Energie- und Klimazukunft. Die Labels sind vergleichbar und aufeinander abgestimmt, lassen den Entscheidungsträgern aber weiterhin die Freiheit, das für sie und das Bauprojekt passende Label zu wählen.
Einheitliche Grundlagen für die Berechnung von Energieverbrauch und Treibhausgas-Emissionen machen Sinn und schaffen Transparenz. Was waren die grössten Herausforderungen dabei?
Vereinheitlichen bedeutet immer, dass man sich anpassen, sich erneuern muss. Stolpersteine waren die vielen Abhängigkeiten der einzelnen Träger, die man beim Versuch einer Harmonisierung entdeckt. Wie gewichtet man Energie? Welche Faktoren für die Treibhausgasemissionen verwendet man? Das sind Themen, die es zu klären gab. Die Frage, wer «Recht hat» kommt oft auf dabei. Es waren einige Kompromisse notwendig auf allen Seiten, um den grössten gemeinsamen Nenner zu finden.
Was passiert mit den regionalen Zertifizierungsstellen? Minergie zum Beispiel hat in fast jedem Kanton eine.
Bei den Personen und Institutionen, welche die Projekte prüfen und zertifizieren, ändert sich nur sehr wenig. Die regionale Nähe zu den Kunden ist wichtig und wird beibehalten. Neu ist, dass der Nachweis und die Zertifizierung komplett digital erfolgen und auf der gemeinsamen Label-Plattform abgewickelt werden.
Wird die Zertifizierung jetzt teurer?
Über alle Standards und Gebäudekategorien gesehen steigen die Gebühren leicht an, zum ersten Mal seit 2017. Der Aufwand für die Erstellung der Nachweise wird dafür aber sinken, beim Zusatz ECO und dem SNBS-Hochbau dank inhaltlicher Vereinfachungen sogar erheblich.
Entsprechend sollten die Gesamtkosten für Planung und Zertifizierung nicht steigen.
Ein Label fällt weg: Das 2000-Watt-Areal. Das hat bei der Ankündigung im März 2022 für kritische Reaktionen gesorgt. Können Areale mit diesem Label jetzt einfach zu Minergie-Areal resp. SNBS-Areal wechseln? Oder was müssen sie vorkehren? Was heisst das kostenmässig?
Ja, das SNBS- und Minergie-Areal sind die offiziellen Anschlusslösungen für die rund vierzig 2000-Watt-Areale, die es bis heute gibt. Der Wechsel ist selbstverständlich freiwillig, das Bundesamt für Energie übernimmt einen Teil der Kosten für die Anschlusslösung. Die wesentlichen Charakteristiken des 2000-Watt-Areals finden sich in den beiden Label wieder. Das SNBS- und Minergie-Areal gelten offiziell als äquivalent bezüglich Energie- und Klimaschutzmassnahmen, was für Gemeinden, die das 2000-Watt-Areal in Bebauungsplänen oder Sondernutzungsplänen festgeschrieben haben, von Nutzen ist.
Warum überhaupt diese ganze Reorganisation bei den Gebäude- und Areal-Label?
Im Gebäudesektor liegt noch ein grosses Potenzial brach, man kann heutzutage bereits viel nachhaltiger bauen als die Gesetze minimal vorschreiben. Es ist wichtig, dass die Label GEAK, Minergie und SNBS gemeinsam vorangehen, Synergien nutzen, einheitlich rechnen und die Kräfte bündeln. Der Prozess der letzten beiden Jahre hat uns Trägerorganisationen näher zusammengebracht und in unseren gemeinsamen Zielen bekräftigt, voranzugehen und einen namhaften Beitrag zur Klima- und Energiepolitik zu leisten.
Ecobau oder der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) oder auch ausländische Label sind nicht dabei in der neuen Labelfamilie. Warum nicht?
So stimmt das nicht. Der Verein ecobau hat den ECO-Zusatz in guter Zusammenarbeit mit uns überarbeitet und ist fachlich und auch durch Vertretung in Vereinsorganen involviert in die Labelfamilie. Für den SIA gilt Ähnliches: Die Vernetzung innerhalb der Institutionen ist eng, und wo immer möglich stützen sich die Label auf SIA-Normen und Merkblätter ab. Ausländische Label sind nicht vertreten, weil sie nicht auf den Schweizer Normen basieren und nach den harmonisierten Regeln der GEAK-Normierung rechnen.
Minergie hat sich als Label etabliert, SNBS ist etwas weniger bekannt. Wird künftig nur noch nach diesen Standards gebaut resp. umgebaut? Ihre Prognose?
Der SNBS ist in seinem Marktsegment inzwischen auch gut bekannt, auf der Strasse kennt man eher Minergie oder immer öfter auch den GEAK. Es ist vorstellbar, dass bald einmal jedes Gebäude eine GEAK-Klassierung haben wird, die analog zu den Energieetiketten für elektrische Geräte die Kategorien A bis G kennt. Bis alle Neubauten und Sanierungen den SNBS-Standard oder einen Minergie-Standard erfüllen, wird es wohl noch lange dauern. An sich müsste das 2050 aber der Fall sein, wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen wollen.
Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Bild: Minergie
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