, ,

Bauteile wiederverwenden: Besuch in der Bauteilbörse


Zum Wegwerfen zu wertvoll: Ausgediente Bauteile lassen sich für Umbauten und Neubauten verwenden. Bauteilbörsen und Netzwerke sorgen dafür, dass das «zirkuläre Bauen» auch in der Schweiz funktioniert.

Was für ein Online-Marktplatz! Zum Angebot gehört zum Beispiel eine «feuerverzinkte Stahl-Aussentreppe mit Geländer» für 2500 Franken. Dazu gibts gleich die technische Zeichnung und eine kurze Geschichte: Die Treppe sei noch nie gebraucht worden, man habe sie aufgrund eines Rekurses umgehend abmontieren müssen. Auf useagain.ch, der Vermittlungsplattform für Bauteil-Wiederverwendung, finden sich aber auch «marokkanische Zementfliesen, originalverpackt auf Paletten», Garagentore, verschiedenste Fenster, Dämmplatten, Spülbecken usw. «Viele schauen sich die Artikel zuerst online und dann in Natura bei uns an», sagt Manuel Herzog, Leiter der Bauteilbörse Basel, zwischen Reihen von WC-Schüsseln, Duschwannen und Parkettmustern, die hier ausgestellt sind.

Bauteil-Re-Use vorantreiben
Die vor über 20 Jahren gegründete Institution gehört zu den professionellen Anbietern, die auf der Schweizer Onlineplattform inserieren und sich gemeinsam dafür engagieren, dass sich die Idee der Bauteil-Wiederverwendung in der Schweiz mehr und mehr durchsetzt. Und das sei nötig, um wertvolle Ressourcen zu schonen und den Energieverbrauch und den CO2-Fussabdruck im Bausektor zu reduzieren, betont Andreas Sonderegger, Co-Leiter des Instituts Konstruktives Entwerfen der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Es sei Zeit für ein grundsätzliches Umdenken. «Wir dürfen ausgediente Bauten nicht mehr als Abfall betrachten, sie sind Rohstoff», sagt Sonderegger, Mitherausgeber des Buchs «Bauteile wiederverwenden – ein Kompendium zum zirkulären Bauen». Es entstand in Zusammenhang mit dem preisgekrönten Vorzeigebeispiel der Bauteil-Wiederwendung in der Schweiz: Der Kopfbau 118 auf dem Sulzer-Areal in Winterthur ist das grösste überwiegend aus wiederverwendeten Bauteilen erstellte Gebäude. Gegenüber einem konventionellen Neubau wurden so 60 Prozent Treibhausgase vermieden.

Wiederverwendung war früher üblich
Bauteile möglichst eins zu eins wiederverwenden, also ohne Energieaufwand für Recyclingprozesse: Was heute als «Bauteil-Re-use» ein Trendthema in der Architekturszene ist, war früher gang und gäbe. Andreas Sonderegger: «In der Schweiz mit ihren Fachwerk- und Strickbauten hatte besonders die Weiternutzung von Holz Tradition. Und wurde eine Mauer nicht mehr gebraucht, konnte man den Mörtel von den Steinen klopfen und weiterverwenden.» Doch heute sei Holz oft verleimt, Mörtel härter als die Steine und Arbeit teurer als Material. Mit dem letzten Punkt steht und fällt das Wiedererwachen der Wiederverwendung.

Echte Handwerkskunst
Dass man früher eher beim Material als beim Arbeitsaufwand sparte, zeigen die kleinen Schätze im Angebot der Bauteilbörse Basel: handgeschmiedete Metallgeländer, kunstvoll geschreinerte Holztüren. «So aufwendiges Handwerk ist heute kaum mehr bezahlbar», erklärt Manuel Herzog.

 Der Kostenfaktor Arbeit ist auch entscheidend in der Frage, welche Bauteile die Börse überhaupt ins Angebot aufnimmt. Denn die meisten Teile holt sich das Team selbst aus Abbruchobjekten und bereitet sie auf. Das ist Arbeit, das sind Kosten. Doch hier müsse man unterscheiden, erklärt Herzog. «Der eine Teil, die Aufbereitung der Bauteile, ist eine Chance für Integrationsbetriebe wie wir einer sind.» Die Bauteilbörse Basel wird von der Genossenschaft Overall betrieben, die sich für die Eingliederung von Jugendlichen und Erwachsenen in die Arbeitswelt engagiert. «Doch der andere Teil, das Demontieren von brauchbaren Bauteilen auf der Baustelle, das lässt sich durchaus wirtschaftlich betreiben», so Herzog.

Brauchbares nicht wegwerfen
Wenn ein Haus oder ein Teil davon rückgebaut werden soll, kann sich die Besitzerin oder der Besitzer bei der Bauteilbörse melden. «Meist sind das Leute, denen es am Herzen liegt, dass Brauchbares nicht einfach weggeworfen wird. Für andere steht das Geldsparen im Vordergrund», sagt Manuel Herzog. Bei einer Anfrage schaut er sich das Haus an und entscheidet, welche Bauteile sich für die Börse eignen. Diese werden dann durch fest angestellte Handwerker und Programmteilnehmende der Bauteilbörse ausgebaut. Um die Verkaufschancen zu erhöhen, brauche es ein gutes Netzwerk, sagt Manuel Herzog.

Spielraum hilft bei der Bauteilsuche
In einen Keller der Overall Baubetriebe lagern 140 Fenster. Alle aus einem rückgebauten Mehrfamilienhaus, gebraucht, aber in einem Top-Zustand und mit den heute erforderlichen Dämmwerten. Wegwerfen wäre eine schlechte Idee. Doch im Abbruchobjekt ausbauen und dann einlagern ist auch noch kein ausgereifter Gedanke. Denn beides verursacht Kosten, die gedeckt werden müssen. Deshalb warten diese 140 Fenster nicht einfach darauf, dass irgendwann, irgendwo eine Tür für sie aufgeht. Nein, sie sind für ein Re-use-Bauprojekt reserviert – Netzwerk und «Bauteil-Matching» sei Dank.

«Bauteil-Matching» ist die Abstimmung von Angebot und Nachfrage und funktioniert über eine Onlineplattform. Hier gibt Manuel Herzog beispielsweise an, dass man bei einem Abbruchobjekt Fenster ausbauen könnte. Auf der anderen Seite des Matchings stehen Interessenten und Interessentinnen wie Jasmin Amann von der Zirkular GmbH. Sie ist Architektin, Re-use-Expertin und «Bauteiljägerin», wie auf ihrer Visitenkarte steht. Auch sie nimmt Fenster als Beispiel: Für einen Neubau habe sie 60 Stück gesucht und ein entsprechendes Suchprofil erstellt. «Weil wir mit starren Grössen nicht weit kommen, werden ungefähre Angaben erfasst», sagt sie. «Je flexibler die Parameter, desto höher die Chance auf einen Treffer.» Hier hat es also geklappt. Sie konnte sich die Fenster noch vor dem Ausbau anschauen, danach wurden sie mitsamt den Fensterläden demontiert. Und nach möglichst kurzer Lagerung starten sie in einem Neubau eine zweite Karriere. Manuel Herzog von der Bauteilbörse Basel fasst zusammen: «Wiederverwendung bedeutet: kein zusätzlicher CO2-Ausstoss für die Produktion, dafür neue Arbeitsplätze.»

Kreative Lösungen bei Umbau
Wie sich Bauteile gleich an Ort und Stelle wiederverwenden lassen, zeigt ein Projekt des Baubüros in situ in Roschach (SG). Begleiten Sie Architektin Meret Hodel auf einem Rundgang durch das «TraumRecyclingHaus» und erfahren Sie, wie Bauteil-ReUse die Kreativität aller Beteiligten anregt.

Dieser Artikel wurde auf der Website von EnergieSchweiz veröffentlicht. Lesen Sie weitere Stories von EnergieSchweiz.