Wie schlimm ist ein trockener Winter für die Stromproduktion?
Weisse Schneebänder auf grünen Matten: Der Winter 2022/23 hat punkto Schnee nicht viel geboten. Fehlt den Speicherseen nun das Wasser, wenn kein Schnee da ist, der schmilzt? Und was heisst das für die Stromproduktion? Was, wenn solche Winter zur Regel werden? Energeiaplus hat bei Christian Dupraz, Leiter Sektion Wasserkraft im Bundesamt für Energie, nachgefragt.
Energeiaplus: So wenig Schnee wie diesen Winter: Beunruhigt das Sie als Spezialisten?
Christian Dupraz: Es ist nicht unüblich, dass es einmal trockenere Winter gibt. Es können auch mal Trockenereignisse gehäuft auftreten. Hinzu kommt: Die Niederschläge fallen nicht wie eine Giesskanne gleichmässig über das Land. Das heisst mit anderen Worten: Von Region zu Region variiert das Niederschlags-Niveau. Im letzten Herbst zum Beispiel konnten die Speicherseen im Tessin nicht vollständig gefüllt werden. Im Wallis hingegen war die Füllung jedoch sehr gut. Beunruhigend wird es, wenn diese Winter zur Regel werden.
Was heisst das für die Stromproduktion? In den Speicherseen lagert ja ein grosses Strom-Reservoir.
Die Speicherseen spüren die Trockenheit im Winter nicht stark, da ein Grossteil der für sie relevanten Niederschläge zu dieser Jahreszeit als Schnee anfällt und erst mit der Schneeschmelze in den Seen ankommt. Die Frage ist: Wie gut wird die Füllung im Frühling ablaufen? Das hängt auch davon ab, wie leer die Seen dann sein werden und wie viel Niederschläge es im Frühling geben wird.
Wie wichtig sind die Speicherseen für die Stromproduktion?
Pro Jahr werden rund 36 TWh Strom aus Wasserkraft produziert. Neun TWh, also rund ein Viertel dieser Jahresproduktion können wir in den Speicherseen speichern. Die Laufwasserkraftwerke machen aber den grössten Teil der Stromproduktion aus Wasserkraft aus. Mit dem Ausbau der Speicherkapazitäten sollte das System noch robuster werden. Das Parlament hat im Mantelerlass dafür einen Zielwert von 2 TWh zusätzlichen Speicherkapazitäten festgeschrieben.
Speicherseen sind das eine Standbein bei der Wasserkraftproduktion. Auch mit Flusswasser kann man Strom produzieren. Wenn wenig Schnee schmilzt, wenn es über längere Zeit trocken ist, fehlt aber dann auch da das Wasser, oder?
Das ist so, die Laufwasserkraftwerke erleben die Hydrologie direkter. Allerdings muss der diesjährige Winter nicht die Regel sein. Das zeigen Szenarien des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Energieforschung (SCCER). Die Wissenschafter haben berechnet, dass in Zukunft die Laufwasserkraftwerke im Winter eine höhere Produktion aufweisen werden, weil im Winter mehr Niederschlag als Regen herunterkommt. Die Laufwasserkraftwerke könnten unter Umständen sogar profitieren von klimabedingten Veränderungen.
Schwankungen sind also nichts Neues für die Wasserkraft. Können Sie Grössenordnungen angeben?
In der Studie des SCCER wird das Flusskraftwerk Birsfelden erwähnt, eines der grossen Kraftwerke am Rhein. In den letzten 30 Jahren hat der jährliche Wasserdurchfluss zwischen +/-35% geschwankt – bei einem Durchschnitt von 1040 m3/s. Die Schwankungen bei der Stromproduktion waren etwas weniger gross – bei +/-11% – bei einem Durchschnitt von 550 GWh. Wieviel Wasser vorhanden ist, ist das eine. Die Grösse und die Leistungsfähigkeit der Anlage sind ein anderer wichtiger Faktor.
Was sind die grössten Herausforderungen bezüglich des Klimawandels für die Wasserkraft?
Wie bereits erwähnt: Die Wasserkraftproduktion war schon immer Schwankungen ausgesetzt. Gletscherschmelze, die Auflösung von Permafrostböden, häufigere Starkregen mit Überschwemmungen, trockene Sommer und schneearme Winter sind aber teils neue Herausforderungen für die Wasserkraftproduktion. Das zeigt auch die Studie des SCCR.
Heisst das, dass die Anlagen auch umgebaut werden müssen?
Anlagen müssen bereits heute so ausgelegt sein, dass sie Starkregenereignisse überstehen. Es ist Aufgabe der Betreiber, auch mit baulichen Massnahmen dafür zu sorgen, wenn die Anforderungen infolge der Änderungen der Rahmenbedingungen sich ändern.
Interview und Photo: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
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