Wärme-Strategie 2050 oder wie die Wärmeerzeugung fossilfrei werden soll
Wie soll künftig die Wärme erzeugt werden, die es braucht für Prozesse in der Industrie oder fürs Heizen von Gebäuden? Darum geht es in der Wärmestrategie, die das Bundesamt für Energie erarbeitet hat. Denis Billat, Fachspezialist Industrie und Dienstleistungen, hat das Projekt geleitet. Er erklärt im energeiaplus-Interview, warum es diese Strategie braucht. Als Spezialist für den Bereich Prozesswärme weiss er auch, wo die Herausforderungen in der Industrie sind.
Energeiaplus: Warum braucht es diese Wärmestrategie?
Denis Billat : Der Wärmebereich macht heute rund 50% des Energieverbrauchs der Schweiz aus und verursacht 35% der CO2-Emissionen. Um das Netto-Null-Emissionsziel zu erreichen, braucht es eine klare Strategie, wie man den Wärmebereich dekarbonisieren kann.
Es betrifft verschiedene Aspekte. Ein gesamtheitlicher Blick ist deshalb wichtig. Oder konkreter: Wenn künftig mit Wärmepumpen geheizt wird, hat das auch einen Einfluss auf die Stromversorgung.
Die Wärmestrategie verfolgt das Ziel, dass die Wärmeversorgung der Schweiz bis 2050 CO2-neutral sein soll. Wo sind dabei die grössten Herausforderungen? Respektive: Was sind die Voraussetzungen, damit das gelingt?
Eine grosse Herausforderung ist es, Massnahmen zu definieren und umzusetzen, die das Energiesystem als Ganzes einbeziehen. In der Wärmestrategie haben wir zehn Bereiche definiert, die zentral sind bei der Dekarbonisierung des Wärmesektors. Zu beachten ist: Wenn man in einem Bereich eine Massnahme umsetzt, hat das Folgen in einem anderen Bereich.
Eine weitere Herausforderung ist, die Massnahmen aller Akteure und aller Ebenen aufeinander abzustimmen. Ein Beispiel: Die Realisierung eines Fernwärmenetzes braucht Zeit. Der Hauseigentümer möchte seine fossile Heizung aber sofort ersetzen. Es gilt also sicherzustellen, dass es dann auch genügend Abnehmer gibt für Fernwärme, damit das Netz rentabel betrieben werden kann.
Kommt hinzu: Wir beginnen ja nicht bei Null. Viel ist schon aufgegleist. Das gilt es auch noch zu berücksichtigen.
Ist das Potenzial denn vorhanden, um dieses Ziel zu erreichen?
Ja, definitiv. Für die Komfortwärme, also fürs Heizen von Gebäuden, gibt es schon sehr effiziente und auch rentable Alternativen zu fossilen Energieträgern. Es braucht also keine neuen Technologien mehr in diesem Bereich. In anderen Bereichen – bei der Hochtemperatur-Prozesswärme zum Beispiel – ist man noch nicht so weit.
Lieferengpässe und der Mangel an Fachkräften sind ebenfalls eine grosse Herausforderung.
Was auffällt: Die Wärmeversorgung soll nicht nur CO2-neutral sein. Der Energieverbrauch im Wärmebereich soll sich bis 2050 auch stark reduzieren. Wie soll das gehen?
Der Energieverbrauch soll gemäss Energieperspektiven 2050+ um 30% sinken, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Das ist so. Das heisst, dass der Wärmebereich auch effizienter werden muss. Es gibt in diesem Bereich noch viel Potenzial. In der Industrie zum Beispiel. Was mit der Wärmerückgewinnung oder der Nutzung von Abwärme erreicht werden kann, muss genau identifiziert und umgesetzt werden.
Beim Heizen von Wohngebäuden muss der Fokus auch auf der Renovation und Dämmung liegen. So kann der Energiebedarf reduziert werden.
Weiter kann sich auch jeder und jede Einzelne fragen, ob seine/ihre Bedürfnisse auch der Verfügbarkeit von Energie angepasst sind. Da gibt es auch Möglichkeiten, ohne dass man auf Komfort verzichten muss.
Rund 60 Organisationen aus den verschiedenen Bereichen wurden konsultiert. Gemeinden, Kantone, Energieunternehmen, Baubranche, Wirtschafts- und Bildungsorganisationen, Umweltverbände. Warum dieser breite Einbezug?
Wie bereits vorher erwähnt: Wärme zu produzieren und zu verbrauchen, das betrifft viele verschiedene Akteure. Es war uns ein Anliegen, dass diese sich einbringen können.
Was sind die häufigsten Bedenken dieser Akteure?
Ein Thema, das bei verschiedenen Akteuren auftaucht, ist die Energiespeicherung. Wir haben dem Thema in der Strategie ein Kapitel gewidmet. Die Technologien zur Energiespeicherung können eine wichtige Rolle spielen für ein effizientes Energiesystem. Denn es erlaubt auch die Nutzung von Abwärme und die Integration von unregelmässig anfallenden erneuerbaren Energiequellen ins System. Wärme kann während einer kurzen oder längeren Periode gespeichert werden. Das heisst: Auch eine saisonale Speicherung ist möglich. So kann die Energie dann genutzt werden, wenn sie benötigt wird. Für die Energieversorgung im Winter ist das eine wichtige Lösung. Die Technologien dafür sind vorhanden, die Projekte müssen jetzt vorangetrieben werden.
Der Energieverbrauch für die Wärme- und Kälteversorgung verteilt sich 2020 zu 53 Prozent auf die privaten Haushalte, zu 26 Prozent auf die Industrie und zu 21 Prozent auf Dienstleistungsbetriebe.
Haushalte und Dienstleistungsbetriebe brauchen Wärme zum Heizen und zur Aufbereitung von Warmwasser. Raumwärme und Warmwasser werden heute noch mehrheitlich mit fossilen Energien erzeugt.
In der Industrie braucht es vor allem Prozesswärme. Diese wird heute noch zu mehr als 60 Prozent aus fossilen Energien – hauptsächlich Erdgas – erzeugt.
Wärme in industriellen Prozessen:
Rund 8 Prozent der Treibhausgasemissionen der Schweiz gehen auf das Konto von Prozesswärme. Zur Herstellung von Stahl oder Zement zum Beispiel sind hohe Temperaturen nötig.
Wie können ohne fossile Energieträger diese hohen Temperaturen erreicht werden, die es für viele industrielle Prozesse benötigt. Gibt es da schon Lösungen, die wirtschaftlich, technisch machbar und effizient sind und auch klimafreundlich?
Das ist tatsächlich eine grosse Herausforderung. Es gibt Verarbeitungsprozesse, die sehr hohe Temperaturen erfordern. Da kann man nicht einfach die Temperatur senken, und es funktioniert immer noch.
Zwei Alternativen gibt es da: Den Ersatz von fossilen Energieträgern durch erneuerbares Gas oder Wasserstoff – da gibt es bereits Pilotprojekte – oder die Elektrifizierung. Diese Alternative ist allerdings noch selten rentabel.
Bei Industrieprozessen mit tieferen Temperaturen gibt es bereits mehr Möglichkeiten. Zum Beispiel der Einsatz von Biomasse (Holz), von Wärmepumpen, Solarthermie oder Geothermie.
Was sind die grössten Herausforderungen, wenn der Wärmeverbrauch in der Industrie klimaneutral werden soll?
Die Industriebetriebe müssen motiviert sein, ihre Prozesse zu dekarbonisieren. Best Practice-Beispiele können da Vertrauen schaffen, dass es geht. Aber es ist immer eine Herausforderung, bestehende Prozesse umzubauen. Und jeder Fall ist ein Einzelfall.
Können alle Prozesse in der Industrie künftig fossilfrei funktionieren? Ist das realistisch? Warum (nicht)?
Die Wärmeproduktion kann fossilfrei werden. Davon gehen wir aus. Es gibt indes Prozesse, die nie komplett fossilfrei werden. Zum Beispiel die Zementproduktion: Dabei wird CO2 freigesetzt. Oder auch bei der Verbrennung von Kehricht entsteht CO2. Hier gilt es, das CO2 einzufangen, damit es gar nicht in die Atmosphäre gelangt. Carbon Capture-Technologien sind hier gefragt. Auch da gibt es bereits Projekte.
Wärmerückgewinnung ist ein Stichwort. Sie haben es bereits erwähnt. Was kann damit gewonnen werden punkto Effizienz, Energieverbrauch?
Wir verfügen nicht über genaue Zahlen Es gibt aber noch Potenzial in der Wärmerückgewinnung und in der Abwärmenutzung. Die Integration der Speichertechnologie kann auch eine wichtige Rolle spielen. Ein Ziel muss sein, dass die Unternehmen das Potenzial systematisch evaluieren und möglichst viel umsetzen.
Es gibt indes schon Beispiele, wo Firmen zum Beispiel die Abwärme nutzen. Ich denke da an Swisscom mit dem Rechenzentrum in Bern. Die Abwärme heizt via Fernwärmenetz Wohnhäuser in der Nachbarschaft.
Ein weiterer Aspekt beim Ersatz von fossilen Energieträgern ist auch die Effizienz. Lässt sich abschätzen, was diesbezüglich in der Industrie eingespart werden kann?
Auch da liegen uns keine Zahlen vor. Aber wir gehen davon aus, dass auch da noch Potenzial vorhanden ist. Braucht ein Verarbeitungs-Prozess wirklich so viel Wärme oder ginge es mit einer Wärmeversorgung mit niedrigem Temperaturniveau? Das sind Fragen, die sich Unternehmen stellen müssen.
Die aktuelle Situation mit hohen Energiepreisen könnte diesbezüglich ein Treiber sein, damit Unternehmen ihr Effizienzpotenzial punkto Wärme analysieren. Man muss aber auch sagen: Es gibt schon viele, die sich punkto Reduktion von CO2 und Energieverbrauch engagieren.
Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Brigitte Mader
Bild: Keystone-sda, Urs Flüeler, Blick in den Ofen der Kehrichtverbrennungsanlage Renergia in Perlen im Kanton Luzern
Neuste Kommentare