Szenariorahmen 2030/2040: Darauf baut das Stromnetz der Zukunft
Wie muss das Schweizer Stromnetz aussehen, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern? Stichworte: Netzstabilität, Ausbau Photovoltaik und Windkraft, Stromimport und -export. Im sogenannten energiewirtschaftlichen Szenariorahmen definiert der Bundesrat die Eckpunkte für die Stromnetzplanung.
Der konventionelle Stromverbrauch wird sich gemäss den Energieperspektiven 2050+ zwar reduzieren – dies dank verschiedener Effizienzmassnahmen. Gründe sind unter anderem: Die Geräte, die auf den Markt kommen, verbrauchen immer weniger Strom, Unternehmen treffen Massnahmen, um ihren Stromverbrauch zu reduzieren. Dafür kommen aber neue Stromverbraucher hinzu. Elektromobilität und Wärmepumpen sind dabei die wesentlichen Treiber der Elektrifizierung und verursachen einen insgesamt zunehmenden Stromverbrauch.
Das Stromnetz der Zukunft soll dafür gewappnet sein. Es geht beim «Szenariorahmen 2030/2040 für die Stromnetzplanung» darum, Planungssicherheit für die Energiewirtschaft zu schaffen. Martin Michel und Fabio Rui, Netzspezialisten im Bundesamt für Energie, erklären welche Bedeutung dieser für die Stromversorgung der Schweiz hat.
Energeiaplus: Szenariorahmen 2030/2040 für die Stromnetzplanung. Das tönt etwas technisch. Wie würden Sie in einfachen Worten erklären, worum es dabei genau geht?
Martin Michel: Der Szenariorahmen liefert energiewirtschaftliche Grundlagen für die Planung der Stromnetze. Die Grundlagen berücksichtigen zum Beispiel, wie sich der Stromverbrauch entwickelt oder der Ausbau der erneuerbaren Energien, wenn gleichzeitig die Kernkraftwerke ausser Betrieb genommen werden. Die Grundlagen basieren dabei auf den Energieperspektiven 2050+.
Warum braucht es diese Grundlagen?
Martin Michel: Bis jetzt gab es keine gemeinsamen verbindlichen Vorgaben für die Planung der Stromnetze. Die einzelnen Netzbetreiber ermittelten, wo ein Ausbau oder eine Stärkung des Netzes nötig war. Eine schweizweite Betrachtungsweise gab es nicht. Dabei wurde oft kritisiert, dass die Netzbetreiber unnötig viele Stromleitungen planen. Mit dem Szenariorahmen und den weiteren Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Um- und Ausbau der Stromnetze («Strategie Stromnetze») ändert dies.
Gab es den in der Vergangenheit Fälle, wo der Szenariorahmen genützt hätte?
Martin Michel: Ja, das Instrument des Szenariorahmens hat sich bereits bewährt, als Swissgrid ihr «Strategisches Netz 2025» erarbeitete. Swissgrid hat dabei den Ausbaubedarf im Übertragungsnetz mit Hilfe eines Szenariorahmens schweizweit evaluiert. Verschiedene geplante Vorhaben (z.B. die Spannungserhöhung von 132-kV auf 220-kV der Leitung Watttenwil – Mühleberg) haben sich als unnötig erwiesen. Andere Vorhaben wiederum wurden bestätigt.
Für wen sind diese Grundlagen relevant?
Fabio Rui: Für die nationale Netzgesellschaft Swissgrid und die grossen Stromnetzbetreiber des überregionalen Verteilnetzes. Sie sorgen mit ihren Netzen dafür, dass der Strom von den grossen Produzenten und vom Ausland zu den Konsumentinnen und Konsumenten kommt, und anderseits die schweizerischen Kraftwerke netztechnisch eng an Europa angebunden sind. Der Szenariorahmen ist die Grundlage, damit Swissgrid und die grossen Netzbetreiber berechnen können, was die Anforderungen für die Zukunft sind. Mit sogenannten Lastflussrechnungen (wieviel Strom muss wann transportiert werden) können sie identifizieren, wo Verstärkungen oder gar neue Stromleitungen nötig sind. Ein Verdienst des Szenariorahmens ist es auch, dass die verschiedenen Akteure an einem Tisch zusammensitzen. So wird die Stromnetz-Planung besser abgesprochen und steht auf einem soliden Fundament.
Der Szenariorahmen wird durch den Bundesrat genehmigt und ist für Behörden zu Fragen der Elektrizitätsnetze verbindlich. Was heisst das konkret?
Martin Michel: Relevant ist dies insbesondere für die eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom). In den Aufgabenbereich der unabhängigen staatlichen Regulierungsbehörde im Elektrizitätsbereich gehört auch die Überprüfung der Netzplanung der Swissgrid. Beurteilt die ElCom den Bedarf der Projekte bei ihrer Prüfung positiv, so ist für Swissgrid sichergestellt, dass die Projektkosten beim Netznutzungsentgelt angerechnet werden können und Swissgrid nicht auf den Kosten sitzen bleibt. Dies schafft Planungs- und Rechtssicherheit für alle Beteiligten.
Welches genau die Herausforderungen 2030 und 2040 sein werden, das wissen wir heute noch nicht. Der Szenariorahmen basiert deshalb auf drei Szenarien. Was berücksichtigen Sie da?
Fabio Rui: Wie bereits erwähnt, basieren die drei Szenarien des Szenariorahmens auf den Energieperspektiven 2050+. Das Leitszenario ist in der Stromversorgung prioritär zu berücksichtigen. Es zeichnet sich aus durch eine starke Elektrifizierung des Energiesystems und einen raschen Ausbau der inländischen, erneuerbaren Stromproduktion. Die beiden anderen Szenarien gelten als «Randszenarien». Das eine sieht einen stärkeren Anstieg des Stromverbrauchs in Kombination mit einem verzögerten Ausbau der inländischen Produktion voraus. Beim anderen Szenario übernehmen Biogas und synthetische Gase eine wichtigere Rolle, und der Ausbau der Photovoltaik kommt rascher voran.
Ob sich die Situation wie in den Szenarien beschrieben entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab. Zubau, Bewilligungen, etc. Gleichzeitig muss die Robustheit des Netzes garantiert sein. Wie geht das?
Martin Michel: Es geht im Szenariorahmen nicht darum, die Zukunft genau vorherzusagen. Vielmehr zeigt der Szenariorahmen auf, wie sich die Treiber der Stromnetzentwicklung (u.a. Verbrauch und Produktion oder die energiewirtschaftliche Entwicklung in Europa) entwickeln könnten. Deshalb enthält der Szenariorahmen drei verschiedene Szenarien, um eine gewisse Robustheit der Planung der Stromnetze sicherzustellen.
Die drohende Energiekrise zeigt, wie schnell sich die Situation ändern kann. Ist das berücksichtigt?
Martin Michel: Zusätzlich zu den drei Szenarien gibt der Szenariorahmen den Netzbetreibern den Auftrag, ihre Netzplanung auf mögliche Risiken zu überprüfen. Diese Risiken stellen kein eigenständiges Szenario dar für die Auslegung der Stromnetze, können sich jedoch negativ auf den Systembetrieb der Stromnetze, auf die Importmöglichkeiten der Schweiz und die Volkswirtschaft auswirken. Sollten sich aus der Überprüfung erweiterte Anforderungen für die Stromnetze ergeben, haben die Netzbetreiber diese in ihren Mehrjahresplänen zu berücksichtigen.
Wie geht es nun weiter?
Fabio Rui: Die Netzbetreiber haben nun Zeit, ihre Netzplanung zu aktualisieren und Mehrjahrespläne zu erstellen. Darin sind dann mögliche Leitungsprojekte enthalten. Die Swissgrid muss den Mehrjahresplan nächstes Jahr der ElCom zur Prüfung abgeben. Gibt die ElCom ihre Zustimmung, wird anschliessend die Projektplanung konkretisiert und die Bewilligungsverfahren werden eingeleitet.
Swissgrid hat im Sommer die Höchstspannungsleitung Chamoson-Chippis in Betrieb genommen. Über 30 Jahre hat das Verfahren gedauert. Unter anderem wurde bestritten, dass die Leitung überhaupt nötig ist. Werden mit dem Szenariorahmen solche Verfahren kürzer?
Martin Michel: Das ist ganz klar das Ziel. Zumindest werden zukünftige Bewilligungsverfahren mit der Vorab-Bedarfsermittlung und – überprüfung auf Basis des Szenariorahmens von der Frage des Bedarfes entlastet. Dies ist ein wichtiges «Puzzlestück» zur Optimierung der Rahmenbedingungen. Weitere Massnahmen sind in der «Strategie Stromnetze» enthalten wie etwa die Optimierung der Bewilligungsverfahren für Leitungsprojekte, die Kriterien und Vorgaben für die Entscheidungsfindung «Kabel oder Freileitung» und die Verbesserung der Akzeptanz und Transparenz von Leitungsprojekten.
Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Bild: Kraftwerksmast am Gotthard-Pass, Shutterstock; Stock-Foto ID: 2171682827; Michael Derrer Fuchs
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