CO2-Ausstoss der Neuwagen ist 2020 gesunken – aber nicht genug
Rund 238’000 neue Autos kamen 2020 neu auf die Schweizer Strassen. Das sind deutlich weniger Fahrzeuge als im Jahr zuvor. Und sie belasteten das Klima auch mit weniger CO2 als die Neuwagen 2019. Mit durchschnittlich 123,6 Gramm CO2 pro Kilometer gingen die Emissionen zwar um über 10 Prozent zurück, der Zielwert von 95 Gramm pro Kilometer wurde trotzdem deutlich verfehlt. Das zeigt die Berichterstattung des Bundesamts für Energie (BFE) zum Treibstoffverbrauch und CO2-Ausstoss von Neuwagen im Jahr 2020 .
Sebastian Dickenmann ist stellvertretender Leiter der Sektion Energieeffizienter Verkehr im BFE. Energeiaplus wollte von ihm wissen, wie die Ergebnisse zu werten sind.
Energeiaplus: Erstmals zum Verkehr in der Schweiz zugelassene Personenwagen (PW) durften 2020 maximal 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstossen. Bis 2019 lag der Zielwert bei 130 Gramm. Diese Vorgabe haben 21 von 76 Grossimporteuren nicht erreicht. Ist das eine Überraschung?
Sebastian Dickenmann: Das Jahr 2020 war mit der Einführung neuer Zielwerte speziell, und sprunghafte Entwicklungen sind immer schwierig einzuschätzen. Dieser Trend zeichnete sich aber schon im Verlauf des Jahres ab. Schon in den letzten Jahren haben einige Importeure wie Mercedes-Benz oder die Fiat Chrysler Gruppe ihre Zielvorgaben überschritten. 2020 hat auch die Amag-Flotte die Zielvorgaben nicht erreicht.
Der Zielwert wurde auf Anfang 2020 gesenkt. Von 130 auf 95 Gramm pro Kilometer. Ist das ein Grund für den Rückgang der CO2-Emissionen?
Zweifelsohne ist das der wichtigste Anreiz gewesen für diesen Rückgang – übrigens die stärkste Reduktion seit Vollzugsstart der CO2-Ziele im 2012. Haupttreiber war dabei die Elektromobilität. Die Effizienzverbesserungen bei den Verbrennern spielten nur eine Nebenrolle. 2020 wurden so viele Fahrzeuge mit Elektroantrieb immatrikuliert wie nie zuvor. Sie sorgten für eine Verbesserung der CO2-Emissions-Bilanz für die Importeure.
2020 wurden insgesamt deutlich weniger Neuwagen zugelassen. Welche Rolle spielt das?
Für die Branche bedeutet das zunächst einen substanziellen Umsatzeinbruch. Den konnten die Garagisten aber durch rekordhohe Umsätze bei den Occasionen sowie einem stabilen Reparaturgeschäft zumindest teilweise kompensieren.
In Bezug auf die CO2-Zielwerte kommt es darauf an, ob ein Importeur seine Zielvorgabe einhält: Wenn er sie überschreitet, bedeuten weniger Fahrzeuge einen kleineren Sanktionsbetrag. Eine allfällige Zielüberschreitung wird mit der Anzahl Fahrzeuge multipliziert.
Was fällt sonst noch auf im vergangenen Jahr?
Es gibt viele interessante Beobachtungen. Zum Beispiel:
- Der sprunghafte Anstieg bei der Elektromobilität: 14.4% gegenüber 5.6% im Vorjahr. Bei den Lieferwagen kam mit dem Ford Transit Custom erstmals auch ein Plug-In-Hybrid-Modell auf den Markt.
- Schweizerinnen und Schweizer bevorzugen PS-starke Fahrzeuge. Ein neuer Schweizer PW hat durchschnittlich 198 PS. In der EU sind es 139 PS. Sogar elektrische Fahrzeuge in der Schweiz haben eine überdurchschnittlich hohe Leistung.
- 2020 hat der Anteil an Allrad-Fahrzeugen in der Schweiz erstmals seit 2008 abgenommen und lag mit 49.8% Marktanteil wieder unter der 50%-Marke.
Seit 2020 gilt auch für leichte Nutzfahrzeuge (LNF) ein CO2-Zielwert. Er liegt bei 147 Gramm pro Kilometer und damit etwas höher als jener für neue Personenwagen. Was sagen die Zahlen in diesem Bereich?
Im Jahr 2020 wurden rund 27’000 LNF neu zugelassen, rund 20% weniger als 2019. Dieser Rückgang ist einerseits auf die Covid-Pandemie zurückzuführen, andererseits wurden 2019, vor Inkrafttreten des CO2-Zielwerts, viele Inverkehrsetzungen vorgezogen. Daher tauchen sie in der Statistik für 2020 nicht mehr auf.
Auch bei den leichten Nutzfahrzeugen manifestiert sich der Trend zur Elektrifizierung, auch wenn der Marktanteil mit 2.7% (2019: 1.6%) noch auf deutlich tieferem Niveau als bei den PW liegt. Die durchschnittlichen CO2-Emissionen der neuen LNF lagen 2020 bei 176.4 g CO2/km (2019: 181.5 g CO2/km). Damit hat die LNF-Gesamtflotte 2020 ihren Zielwert insgesamt noch deutlich verfehlt. Dafür wurden rund 15.7 Millionen Franken an Sanktionen fällig.
Sie sprechen es an: Autoimporteure, die ihre Zielvorgabe über die ganze Neuwagen-Flotte des Jahres 2020 nicht einhalten konnten, müssen Strafzahlungen entrichten. Wofür wird dieses Geld eigentlich eingesetzt?
Für das Jahr 2020 sind Sanktionszahlungen von 146,7 Millionen Franken fällig. Nach Abzug der Vollzugskosten bleiben 145,7 Millionen. Dieser Betrag wird dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds NAF zugewiesen. Auf diesem Weg kommt er grösstenteils dem Ausbau, Unterhalt und Betrieb der Nationalstrassen sowie zu einem kleineren Teil den Verkehrsinfrastrukturen in Städten und Agglomerationen zu.
Wie geht es weiter mit den CO2-Zielen für Neufahrzeuge?
Nach dem Nein zum totalrevidierten CO2-Gesetz vom 13. Juni gelten weiterhin die Zielwerte des bestehenden Gesetzes: 95 g CO2/km für PW und 147 g CO2/km für LNF. Das weitere Vorgehen beim Klimaschutz und ein allfälliger Vorschlag zu weitergehenden Zielen ab 2025 ist nun Sache des Bundesrats und des Parlaments.
Umgehungsversuche von Importeuren haben im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht. Wie ist hier der Stand, was ergeben die Abklärungen des BFE?
Das BFE hat verschiedene Schlupflöcher festgestellt: Einerseits wurden in der Vergangenheit Personenwagen zu Lieferwagen umgebaut und nach der Erstzulassung wieder als PW genutzt. Damit unterstanden sie 2019 noch keinen CO2-Zielwerten, diese wurden für Lieferwagen erst auf 2020 eingeführt. Andererseits wurden Elektrofahrzeuge importiert, kurzzeitig zugelassen und dann teilweise wieder exportiert. Damit wird dem Importeur ein Fahrzeug mit 0 g CO2/km an seine Flottenbilanz angerechnet, ohne dass dieses Fahrzeug letztlich in der Schweiz verkehrt.
Das BFE beobachtet diese Praktiken und behält sich vor, in Umgehungsfällen entsprechende Korrekturen der CO2-Flottenabrechnungen vorzunehmen. Dazu laufen auch bereits verschiedene Verfahren. Ebenfalls wurde in der laufenden Revision der CO2-Verordnung eine Präzisierung der Bestimmungen vorgeschlagen. Es ist aber festzuhalten: Die allermeisten Importeure handeln korrekt, Umgehungsversuche sind die Ausnahme. Die offene und klare Kommunikation mit der Fahrzeugbranche hat dabei geholfen.
Interview: Brigitte Mader, Kommunikation Bundesamt für Energie
Bitte geben Sie an, mit welchem Strommix der Betriebsstrom der Elektrofahrzeuge in die Bilanz aufgenommen wird.
Es ist leider so, dass aus Gründen der ökologisch relevanten Opportunitätskosten nicht etwa der Durchschnittsmix im CH-Netz oder im europäischen Netzverbund (gar nicht zu sprechen von „Grünstrom“!) in die Bilanz aufgenommen werden darf. In einer Grenzbetrachtung – und nur eine solche ist relevant – verbrauchen die Elektrofahrzeuge in Tat und Wahrheit praktisch 100% fossilen Strom. Dadurch werden wir plötzlich feststellen, dass zwar der Gebrauch von Elektrofahrzeugen zu- und derjenige von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren abgenommen hat, die CO2-Belastung des Verkehrs in der Schweiz und in Europa allerdings angestiegen ist.
Ich bin schon jetzt gespannt, wie die Energiebehörden das dann dem Volk erklären werden.
Die Zielwerte für den Ausstoss von CO2 sind ein ungeeignetes Instrument. Sie haben nicht verhindert, dass der CO2-Ausstoss des Verkehrs seit 1990 praktisch gleich geblieben ist. Die Zielwerte bewirken bloss einen grossen administrativen Aufwand bei den Importeuren und in der Verwaltung.
Ein simples Beispiel zeigt die Untauglichkeit von Zielwerten auf: A fährt ein Auto mit einem CO2-Ausstoss von 95 Gramm/km. B fährt ein Auto mit dem doppelten CO2-Ausstoss von 190 Gramm/km. A fährt 50’000 km pro Jahr. B fährt 10’000 km pro Jahr. Folglich emittiert A 4,75 Tonnen CO2/Jahr und B bloss 1,9 Tonnen CO2/Jahr.
Natürlich macht sich der Gesetzgeber – unser Parlament – keine solch simplen Überlegungen, sondern wählt lieber ein untaugliches, aber in der Umsetzung kompliziertes und teures Instrumentarium.
Verursachergerecht wären allein eine CO2-Abgabe auf Treibstoffen (wie bei den Brennstoffen) oder eine vollständige Kompensation; zwischen 2013 und 2019 hat die KLIK (Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation) die vom CO2-Gesetz verlangten, lächerlichen 4,2 % der von den Treibstoffen verursachten CO2-Emissionen kompensiert; dies hat die Verbraucher einen lächerlichen Rappen pro Liter Treibstoff gekostet, während Brennstoffverbraucher aktuell mehr als 50 Rappen/Liter CO2-Abgabe blechen müssen. Dies zeigt, dass gewisse Inhalte des CO2-Gesetzes grosser Unsinn sind. So erreichen wir die Klimaziele nie.
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Der Bericht des BFE von 2020 «Auswirkungen der CO2-Emissionsvorschriften für neue Personenwagen 2012-2018» zeigt, dass der CO2-Ausstoss der gesamten Personenwagen-Flotte gedämpft werden konnte. Trotz steigender Anzahl von Fahrzeugen konnte die Zunahme der CO2-Emissionen gedämpft werden bzw. zuletzt nahmen die Emissionen ab. Die Abbildungen 24 und 25 im Bericht illustrieren das. Den Bericht finden Sie hier: https://www.bfe.admin.ch/bfe/de/home/news-und-medien/publikationen.exturl.html/aHR0cHM6Ly9wdWJkYi5iZmUuYWRtaW4uY2gvZGUvc3VjaGU=.html?keywords=&q=Auswirkungen+der+CO2&from=&to=&nr=
Freundliche Grüsse
Team Energeiaplus
Eine „Dämpfung des gesamten CO2-Ausstosses“ genügt bei Weitem nicht, und „trotz steigender Anzahl von Fahrzeugen“ ist kein Argument. Um bis ins Jahr 2050 das Nullemissionsziel zu erreichen, wäre nach Adam Riese ab sofort eine jährliche Reduktion von über 3 % des Gesamtausstosses notwendig (linear gerechnet). Von solchen Senkungsraten ist man seit 30 Jahren weit entfernt. Mit schönfärberischen Tricks wie „Phasing-in“ oder „Supercredits“ wird versucht, die Zielwerte zu erreichen. Wenn diese jetzt neu aufgelegten Instrumente nach 2022 nicht mehr anwendbar sein werden, wird man feststellen, dass abgesehen von einer spürbaren Reduktion des gesamten CO2-Ausstosses das spezifische Ziel 95 g/km für Neuwagen Utopie bleiben wird – „dank“ steigenden Fahrzeugleergewichten und insbesondere grossem Anteil von SUVs und Allradfahrzeugen.
Ich bin gespannt, welche „Bestimmungen“ dann die untauglichen Zielwerte ablösen werden.