OLD Caption: Wolfgang Seifert ist Energiebeauftragter der ETH Zürich. Er begleitet die Energieversorgung des Campus seit 20 Jahren und das Projekt Anergienetz seit dem Startschuss 2006.
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Wie die ETH Zürich sich selbst mit Energie versorgt


Fast so viel Energie wie eine Schweizer Kleinstadt verbraucht die ETH Zürich. Seit 2013 stammt die Energie fürs Kühlen und Heizen aus dem Boden unter dem Campus Hönggerberg. Mehrere Erdsondenfelder speichern im Sommer Abwärme im Boden, und geben sie im Winter wieder zum Heizen frei. Für den Energietransport sorgt ein sogenanntes Anergienetz, ein Niedertemperaturverteilnetz. Dafür hat die ETH 2020 vom Bundesamt für Energie den Watt d’Or erhalten. Warum macht dieses System für eine Forschungsinstitution Sinn?

Der Hönggerberg bei Zürich gleicht bald einem Emmentaler Käse. Seit einigen Jahren ragen dort über 400 Erdwärmesonden in die Tiefe. Das sind insgesamt 82 Sondenkilometer, die den Berg durchdringen. Aber ausgehöhlte Berge sind in der Schweiz freilich keine Seltenheit. Und in diesem Fall liefern die Bohrungen Energie für eine ganze Kleinstadt.

Umstellung auf ökologische Selbstversorgung

Der Campus Hönggerberg ist das grösste Areal der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). An die 12’000 Studierende und Mitarbeitende forschen hier in über 30 Gebäuden an den Innovationen von morgen und verbrauchen dabei 77 Gigawattstunden Energie pro Jahr – so viel wie die Stadt Solothurn. Als führende Forschungsanstalt für erneuerbare Energien entschied die Schulleitung bereits vor 20 Jahren, auf ökologische Selbstversorgung umzusteigen.

Wie das geht? Mit einem eigenen Anergienetz. Das dynamische Erdspeichersystem nutzt die Kälte des Winters und die Wärme des Sommers, um die jeweils andere Jahreszeit zu überbrücken. Drei Erdsondenfelder speichern Wärme und Kälte natürlich und emissionsfrei im Boden. Ein Leitungssystem verbindet die Speicher mit den Energiezentralen, die schliesslich die Versorgung der Gebäude regeln.

 

So funktioniert das Anergienetz

Benötigt eine Zentrale Wärme, wird diese aus einem anderen Cluster oder einem Erdspeicher über das Netz bereitgestellt. Fällt in einem Cluster Abwärme an, die nicht direkt in den angeschlossenen Gebäuden verwertet werden kann, wird diese, je nach Betriebsart, von anderen Clustern direkt genutzt oder in den Erdspeicher verlagert, wo sie für eine spätere Nutzung zur Verfügung steht.

Eine Zentrale deckt jeweils mittels Wärmepumpen und -tauschern den Heiz- und Kühlbedarf der angeschlossenen Gebäude ab. Die effizienteste Betriebsart ist der Autonomiebetrieb, der ohne das Anergienetz auskommt und mehrheitlich in der Übergangszeit auftritt. Anfallende Kälte aus den Wärmepumpen kann dann in der gleichen Zentrale direkt zur Abdeckung der Klimakälte oder zur Vorkühlung der Laborkälte verwendet werden. Liegt ein Wärmeüberschuss oder -defizit vor, kompensiert dies das Anergienetz.

 

Laut Wolfgang Seifert, Energiebeauftragter der ETH Zürich, bewährt sich die Variante Anergienetz jeden Tag mehr. Dabei kam bei der Entscheidung auch das Ausschlussprinzip zum Tragen: «Als das Projekt 2006 genehmigt wurde, standen drei Varianten für die künftige Energieversorgung des Campus zur Debatte. Die Verhältnisse am Hönggerberg hätten zum Beispiel Bohrungen für Tiefengeothermie zugelassen. Nun traf es sich aber, dass just wenige Tage vor der Entscheidung in Basel die Erde bebte und es zu Sachschäden kam – wegen einer Tiefenbohrung. Wir sahen also von dieser Variante ab. Weiter wäre der Anschluss an ein bestehendes Fernwärmenetz möglich gewesen. Hier hätte das System aber nur begrenzt mit dem Campus mitwachsen können. Deshalb fiel unsere Wahl schliesslich auf ein eigenes Anergienetz.»

Anergie ist effizient, braucht aber die richtige Infrastruktur

Bei der Versorgung mit Anergie verzichtet man im Prinzip darauf, neue Energie zu generieren und bedient sich stattdessen dem bereits vorhandenen Bestand in der Umgebung. Das spart Emissionen ein, bedingt aber auch die richtige Infrastruktur. Sprich, energieeffiziente Gebäude, die mit tiefen Vorlauftemperaturen (32°C) beheizt werden können.

Wolfgang Seifert ist Energiebeauftragter der ETH Zürich. Er begleitet die Energieversorgung des Campus seit 20 Jahren und das Projekt Anergienetz seit dem Startschuss 2006.

Der Anschluss bestehender Gebäude an das Anergienetz ist damit eine Herausforderung. Wolfgang Seifert erklärt:: «Der Ausbau des Anergienetzes und der Anschluss zusätzlicher Gebäude gehen einher mit dem laufenden Ausbau und der Sanierung des Campus. Dabei sind wir abhängig von der bestehenden Substanz. So haben wir etwa mehrere denkmalgeschützte Gebäude des renommierten Architekten Rudolf Steiner, die das Bild des Campus prägen. Diese so zu sanieren, dass sie ans Anergienetz angeschlossen werden können, ist aufwändig. Der Physik-Turm (Gebäude HPP) wurde von 2006 bis 2011 renoviert und wird heute mit Anergie versorgt. Die restlichen Bauten folgen in den nächsten Jahren.»

Die Forschungsinstitution ist prädestiniert für Anergie

Die Substanz ist nur ein Faktor, weshalb der Zielwert für die Abdeckung durch das Anergienetz bei 90 und nicht 100 Prozent liegt. Der Campus Hönggerberg ist ein Schmelztiegel der Naturwissenschaften und Grundlagenforschung – ein Drittel der Räumlichkeiten sind Labors. Dementsprechend einzigartig ist die Zusammensetzung des Energiebedarfs. Laut Wolfgang Seifert spricht dieser Umstand aber umso mehr für ein Anergienetz:

«Der Campus der ETH Zürich hat im Vergleich zu einer Wohnsiedlung oder einem Bürokomplex einen überdimensionalen Kältebedarf. Kühlung geht bei uns weiter, als Klassenzimmer im Sommer auf angenehme 22 Grad zu temperieren. Unzählige Serverräume, Labore und andere Forschungseinrichtungen müssen das ganze Jahr hindurch gekühlt werden. Auch der Strombedarf spricht Bände: An die 55 Gigawattstunden Strom fliessen jährlich durch unsere Leitungen. Und wo Strom fliesst, braucht es Kühlung. Für das Anergienetz ist das aber ein Vorteil. Sind Kälte- und Wärmebedarf annähernd ausgeglichen, ist das System am effizientesten. Bei konventionellen Wohn- oder Büro-Bauten wird deutlich mehr Wärme als Kälte nachgefragt».

Mit Köpfchen und Herzblut zu höchstmöglicher Effizienz

Eine höchstmögliche Effizienz des Systems hat Priorität. Ein automatisiertes Monitoring misst die Netzaktivität und -effizienz laufend. Erfahrungen aus dem Betrieb werden so aufgezeichnet und zu dessen Optimierung genutzt. Seit 2012 beschäftigt sich eine Monitoring-Gruppe von sieben Personen mit diesem Vorgang. Das Team kann Speicher zu- oder wegschalten, Druckprobleme und andere Störungen beheben. Den Erfolg bestätigt unter anderem der hohe Wirkungsgrad der Wärmepumpen, der bei 8 COP liegt (Coefficient of Performance). Das heisst, mit einer Kilowattstunde Strom werden acht Kilowattstunden Wärme produziert. Das Projekt gewann 2020 dafür den Energiepreis Watt d’Or des Bundesamtes für Energie.

Wolfgang Seifert: «Das Monitoring-Team trägt massgeblich zu diesem Erfolg bei. Die Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachbereichen arbeiten hier mit grosser Sorgfalt und sind in der Lösungsfindung konsequent und kreativ. Das stelle ich bei der gesamten Belegschaft fest. Ich bin immer wieder erstaunt, mit wie viel Leidenschaft und Herzblut Mitarbeitende aller Gebiete und Hierarchiestufen an der Weiterentwicklung des Anergienetzes arbeiten. Das trägt massgeblich dazu bei, dass wir so gut vorankommen und mit Zuversicht auf die Ziele für 2040 hinarbeiten.»

CAMPUS ETH
12’000 Studierende
30 Gebäude
77 Gigawattstunden Energiebedarf pro Jahr
22 Gigawattstunden Heizenergiebedarf pro Jahr

Anergienetz heute
3 Erdsondenfelder (3 weitere in Planung)
431 Erdsonden (200 Meter tief)
5 Energiezentralen (1 weitere in Planung)
14 Gebäude angeschlossen (2019)
deckt 81 % der Nutzwärme und 78 % der Nutzkälte der heute angeschlossenen Gebäude (2018)

Ziel
Abdeckungsgrad von 90 % (ganzes Areal)
Anschluss sämtlicher Gebäude an das Anergienetz
CO2-Reduktion um 80% = 8000 Tonnen pro Jahr bis 2040 (Referenzjahr 2006)

 

 

Laura Scheiderer, Polarstern, Vorbild Energie und Klima (VBE)

5 Kommentare
  1. Werner Zumbrunn, Dipl. El. Ing. ETH
    Werner Zumbrunn, Dipl. El. Ing. ETH sagte:

    Tolles Projekt. Ohne es madig machen zu wollen, muss man aber darauf hinweisen, dass der Campus Hönggerberg offenbar jährlich 55 Gigawattstunden (55 Mio. kWh) elektrischer Energie benötigt – soviel wie ca. 12’000 Haushalte. Der Titel des Beitrags „Wie die ETH Zürich sich selbst mit Energie versorgt“ ist daher irreführend. Oder kann die ETH mit Hilfe des Anergie-Netzes auch diese elektrische Energie erzeugen? Dies wäre eine Sensation, weil ein Verstoss gegen den 2. Hauptsatz der Thermodynamik vorliegen würde.

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    • Wolfgang Seifert
      Wolfgang Seifert sagte:

      Der Artikel bezieht sich auf die thermische Energie. Die ETH Zürich ist eine Energie-Grossverbraucher des Bundes. Der hohe Anteil elektrischer Energie wird für die Forschung benötigt. Die ETH Zürich bezieht den Strom hauptsächlich vom Elektrizitäts-Netz. Dabei wird auf einen hohen Anteil an erneuerbarem Strom geachtet.

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      • Rolf Raess
        Rolf Raess sagte:

        Als Mitbeteiligter bei der 2. Etappe der Physikbauten ETH-Hönggerberg* mit Architekt und ETH-Professor Albert Hans Steiner (Rudolf Steiner ist jener von Dornach) bin ich betrübt, dass auf den gekiesten Flachdächern nicht schon längst Photovoltaik-Solarkollektoren montiert wurden. Die 2 Alibi Felder sind lächerlich…angesichts des Stromverbrauch in den Laboratorien und Bauten.
        *(HPF, HPM, HPT, HPP & HPH)
        Mit freundlichen Grüssen
        Rolf Raess

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  2. Markus Saurer
    Markus Saurer sagte:

    Bitte legen Sie erst eine Berechnung vor, aus der hervorgeht, ob die ETH-eigene Energieproduktion überhaupt ausreicht, um die graue Energie zu rekuperieren, die in das System gesteckt werden musste. Ich würde das bei 80 km Erdsonden doch erheblich bezweifeln.

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  3. Monika Sieber
    Monika Sieber sagte:

    Meine Tochter wohnt im Campus, im Dez.2021, 18(- 20grad bei Sonne), die Studenten kaufen sich Elekroheizungen, ist ja nicht sehr sinnvoll….
    Dazu sollten sie ja lernen können, und nicht eingemummelt im Bett liegen…

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