New York City, die Stadt, die niemals schläft, die konstant lärmt, staut, leuchtet und unbedarfte Europäer bis zur Froststarre herunterklimatisiert. Und dennoch fasziniert der Blick auf die unvergleichliche Skyline dieser legendären Mega-City, in der auf 790 Quadratkilometern Fläche so viele Menschen leben wie in der ganzen Schweiz. Der Begriff Energieversorgungssicherheit erhält hier angesichts der schieren Grösse und Dichte und in Zeiten nie dagewesener Veränderungen der Energiemärkte eine neue Dimension. Wie New York diesen enormen Herausforderungen begegnet, war Thema der vom Bundesamt für Energie und swissnex Boston organisierten Swiss-US Energy Innovation Days vom 20. bis 23. August 2017.
Rund 200 Akteure, davon über 50 aus der Schweiz, aus Forschung, Finanzen, Industrie, Startups, Consulting, Verbänden und Behörden nutzen die verschiedenen Anlässe der Swiss-US Energy Innovation Days 2017 (SUEID), um sich über aktuelle Projekte und Energiestrategien in beiden Ländern auszutauschen. Der Anlass in New York war bereits die vierte Ausgabe der SUEID, die 2014 als gemeinsame Initiative des schweizerischen Bundesamts für Energie und swissnex Boston initiiert wurden.
Die Tage in New York waren verschiedenen thematischen „Clouds“ gewidmet, welche die Megatrends der Digitalisierung im Energiebereich und die damit verbundenen, teils noch etwas nebulösen Innovationen repräsentieren sollten. Die Referate und zahlreichen Paneldiskussionen waren trotz des Cloud-Mottos sehr konkret und keineswegs von Wolkenschiebereien oder Stossgebeten zum Himmel geprägt, obwohl es am Tag der Eröffnungskonferenz tatsächlich einen guten Grund gab, den Blick nach oben zu richten. Denn erstmals seit 99 Jahren zog eine totale Sonnenfinsternis über den gesamten nordamerikanischen Kontinent. Deren schattige Auswirkungen wurden von den US Stromversorgungsunternehmen übrigens genauso problemlos bewältigt wie die Sonnenfinsternis vom März 2015 in Europa.
In ihren Keynote-Referaten stellten Jill C. Anderson, Vizepräsidentin der New York Power Authority, und Christine Weydig, Direktorin der Energieprogramme der Port Authority von New York und New Jersey, die Energiestrategien und Programme der Stadt vor. Diese sind stark auf Versorgungssicherheit – Resilienz ist dabei das Hauptthema – und die zunehmende Nutzung der Digitalisierung zur Optimierung und Steuerung, aber auch zur Senkung der Kosten der Energiesysteme ausgerichtet. Mehrere Strategien und Programme werden parallel vorangetrieben. Fast alle haben ihren Ursprung in einer Naturkatastrophe: 2012 verwüstete der Hurrikan Sandy weite Teile der Stadt und Hundertausende waren während Tagen und Wochen ohne Energieversorgung.
Hurrikan Sandy führte zu einem radikalen Umdenken in New York, weg von der „grösser ist besser“-Philosophie hin zu einer „kleiner, verteilter und smarter“-Philosophie. Gerade erlebt das Land mit Harvey und Irma wieder eine schlimme Hurrikan-Saison, Millionen sind derzeit ohne Stromversorgung. Das zeigt, dass New York auf dem richtigen Weg ist. Denn die lebenswichtigen Energie-, Verkehrs-, Kommunikations- und Gesundheitssysteme dieser Küstenstadt werden bei immer extremeren Wetterereignissen auch künftig sehr verletzlich sein. Milliarden wurden seit 2012 in den Wiederaufbau der kritischen Infrastrukturen gesteckt aber auch in die Stärkung derer Widerstandsfähigkeit, eben der Resilienz. So wurde beispielsweise das von Hurrikan Sandy zerstörte Hochleistungsumspannwerk des Energieversorgers Con Edison im unteren Teil von Manhattan nicht nur mit neuen Hochwasserschutzwänden wieder instand gestellt, sondern von ABB mit digitaler Technologie ausgerüstet, welche das Netz und die Stromversorgung robuster macht.
Sandy war Auslöser für den Klima-Aktionsplan „A stronger, more resilient New York“, die New York City Carbon Challenge, die Strategie „OneNYC: One New York – The Plan for a Strong and Just City”, die „Reforming the Energy Vision (REV)” oder für das mit 40 Millionen Dollar dotierte Entwicklungsprogramm NY Prize für die Entwicklung von Microgrids im ganzen Staat New York.
Insbesondere die „Reforming the Energy Vision” will neue Ansätze für die Stromproduktion, -Steuerung und -Versorgung erreichen. Alternde Infrastrukturen sollen ersetzt werden und mit Investitionen von fast 30 Milliarden Dollar in den kommenden Jahren zu einem smarteren, dezentraleren und kostengünstigeren Stromversorgungssystem entwickelt werden. Nachdem Thomas Edison 1882 im südlichen Manhattan das weltweit erste Stromnetz (ein eigentliches Microgrid) in Betrieb genommen hatte, will die Stadt wieder zum weltweiten Vorreiter für eine innovative Stromversorgung werden.
Wie wichtig solche Energiestrategien von Stadt und Bundesstaat New York aber auch von anderen US-Bundesstaaten sind, zeigten die Diskussionen mit den US-Teilnehmenden der SUEID. Sie stellen ganz klar fest, dass die USA keine nationale Energiestrategie habe, im Weissen Haus keine vorausschauenden Energieversorgungspläne existierten und dass – nach Meinung von nicht Wenigen – dort derzeit noch nicht einmal eine richtige Regierung sitze. New York ist trotz dieser Umstände flott und zielstrebig auf dem Weg.
Das Panel rund um die „Risk Cloud“ machte klar, dass neue Technologien und der Umbau zu smarteren Energiesystemen zunächst mit finanziellen und technologischen Risiken verbunden sind. Doch angesichts der disruptiven Veränderungen der Energiemärkte – so schätzt Bloomberg New Energy Finance, dass 34 der 60 US-Kernkraftwerke Geld verlieren – und der notwendigen Anpassungen an klimabedingte Umweltveränderungen werden die Kosten langfristig viel besser in den Griff zu kriegen sein. Sorgen bereiten die regulatorischen Risiken: Die gesetzlichen Grundlagen hinken den rasanten technologischen Entwicklungen seit Jahren hinterher. Die Regulatoren sind gefordert, diese nicht zu bremsen und gleichzeitig einen möglichst sicheren und langfristig orientierten gesetzlichen Rahmen für Investitionen bereitzustellen.
Das „Business Cloud“-Panel stellte die Konsumenten in den Vordergrund. Sie werden derzeit von branchenfremden Marktakteuren mit ganz neuen, vorwiegend auf Digitalisierung aufbauenden Dienstleistungen und Produkten umgarnt. Die klassischen Energieversorgungsunternehmen tun gut daran, sich nicht mehr nur auf den Verkauf von Kilowattstunden zu konzentrieren, sondern für die zu Prosumenten mutierenden Kunden umfassendere und vor allem auch transparente Angebote zu entwickeln. Die sich bildenden Peer-to-Peer-Märkte oder Eigenverbrauchsgemeinschaften sind sowohl in New York als auch in der Schweiz für Versorgungsunternehmen und Regulatoren eine grosse Herausforderung.
In der „Building Cloud“ waren Regulierung und Standards ebenfalls ein Thema. In New York City gibt es rund eine Million Gebäude, die für drei Viertel des gesamten Energieverbrauchs der Stadt verantwortlich sind. Energetische Renovationen und möglichst energieeffiziente Neubauten, aber auch die Vernetzung der einzelnen Gebäude im Quartierverbund, zum Beispiel zur Nutzung der Abwärme oder in Microgrids, sind Themen, die die Verantwortlichen der Stadt beschäftigen. Die Schweiz hat in diesem Bereich viel Know-how zu bieten. Ebenso im Monitoring und der Betriebsoptimierung von Gebäuden, die jedoch in der Schweiz und den USA noch zu wenig verbreitet sind. Energieeffizienz darf nicht nur beim Bau oder der Renovation eine Rolle spielen: Der Grossteil der Kosten fällt während des Betriebs des Gebäudes an. Nur durch konstantes Monitoring, das dank neuer digitaler Technologien immer einfacher wird, können Anlagen optimiert, Programme richtig eingestellt und die Lebensdauer von Gebäudesystemen verlängert werden. Kostenüberlegungen sollten sich gerade im Gebäudebereich über den gesamten Lebenszyklus erstrecken.
In der Diskussion zur „Grid and Storage Cloud“ wurden die weitreichenden Auswirkungen der dezentralen Stromproduktion deutlich. New York nimmt hier mit seiner Strategie „Reforming the Energy Vision“ tatsächlich eine Vorreiterrolle ein, doch beklagen die US-Panelisten gleich wie ihre Schweizer Kollegen, dass es an eigentlichen, koordinierten Umsetzungsplänen sowie Vorgaben und Führung durch die Politik mangelt. Die regulatorischen Probleme bei der praktischen Umsetzung wurden denn auch von Lawrence Orsini, CEO der LO3 Energy, anlässlich des Besuchs des weltbekannten Brooklyn Microgrids am zweiten Tag der SUEID betont. Der Umbau zur dezentralen Versorgung, die Integration von Speicherlösungen und die optimale Nutzung und Abgeltung von Flexibilitäten oder das Aufkommen der Blockchain-Technologie im Energiehandel werden Politik, Wirtschaft und Regulatoren demnach noch einige Zeit stark fordern.
Wir gross das Potenzial gesetzlicher Vorgaben und technischer Standards ist, stellte die Schweizer Delegation beim Besuch des 1931 eröffneten Empire State Buildings fest, das in den letzten Jahren eine umfassende energetische Sanierung erfahren hat. Über 30 Prozent weniger Energieverbrauch und fast viereinhalb Millionen Dollar weniger Energiekosten pro Jahr wurden erreicht. Und dies, obwohl nur Massnahmen mit einer Paybackzeit von rund drei Jahren umgesetzt wurden, wie die Teilnehmer im komplett leeren, noch im Rohbau befindlichen 66. Stockwerk erfuhren. Mit den in der Schweiz geltenden Bauvorschriften hätte der Energieverbrauch dieser Gebäude-Ikone wohl locker um mehr als 60 Prozent gesenkt werden können, ohne massgeblich längere Paybackzeit.
Der letzte Tag der SUEID 2017 war vollständig der Energiezukunft gewidmet. Unter Leitung von Nicola Forster, Präsident foraus, tauschten sich Meinungsführer aus den USA und der Schweiz über Politikansätze zur Verringerung der Erdölabhängigkeit aus, über neu entstehende Arbeitsplätze im Energiesektor, Marktdesign, Lenkungsabgaben, Förderstrategien sowie den besseren Zugang zu Kapital für Energieinnovationen (Video). Solche Innovationen wurden denn auch im Anschluss in sieben Technologie-Pitches präsentiert. Darunter vielversprechende Schweizer Projekte wie
- die Technologie des ETH-Spinoffs Battrion, mit der die Ladegeschwindigkeit von Batterien stark erhöht werden kann
- das U-Value Kit der GreenTEG, das dank innovativer Sensoren die rasche Messung der Isolation von Gebäudehüllen ermöglicht
- das Dachelement von Designergy, das Dachkonstruktion, Isolation und Photovoltaik kombiniert und mittlerweile bereits so preisgünstig ist wie ein herkömmliches Dach ohne Solaranlage.
Einen letzten Eindruck der Grösse New Yorks erhielt die Delegation beim Besuch der Newtown Creek Abwasseraufbereitungsanlage in Brooklyn. Das Abwassersystem New Yorks besteht aus 14 Abwasseraufbereitungsanlagen, die täglich 4,8 Millionen Kubikmeter Liter Abwasser verarbeiten. Die Anlage Newtown Creek ist die grösste ihrer Art. Hier werden in grossen eierförmigen Tanks die Abfälle aus dem Wasser zu Biogas vergärt. Die Anlage verbraucht davon selbst nur rund 40 Prozent für Prozesswärme, die restlichen 60 Prozent wurden bis vor kurzem einfach abgefackelt. Neu werden sie ins Gasnetz eingespeist und liefern damit Heizenergie für über 5‘000 Haushalte. Was in der Schweiz schon lange selbstverständlich ist, wird hier als wegweisendes Pilotprojekt gefeiert. Ein weiteres Zeichen, wie sehr sich das Energiebewusstsein in New York verändert hat und wie ernst es der Stadt ist, auf dem Weg in ihre Energiezukunft voranzukommen.
Die SUIED 2018 finden nach Boston, Zürich, San Francisco und New York wieder in der Schweiz statt und sollen den Teilnehmenden aus den USA und der Schweiz wiederum ein attraktives Programm bieten. Anregungen und Kooperationsvorschläge nimmt das Bundesamt für Energie gerne entgegen.
Marianne Zünd, Abteilungsleiterin Medien + Politik, Bundesamt für Energie
PS: Weitere Bilder gibt es auf Flickr.
https://www.flickr.com/photos/admin-bfe/36672290982/in/album-72157688263412785/
Das war sicher ein interessantes und angenehmes Reisli. Und klar, seit wir in Zürich (Prime Tower) und in Basel (Roche) auch schon über Hochhäuser verfügen, ist es dringlich an der Zeit, sich mit New Yorker Versorgungsproblemen zu befassen. Nächstes Jahr findet die Übung in Muotathal statt, damit die New Yorker die Analogie zwischen der Versorgung des Muota- und Bisistals sowie den engen Strassenschluchten in ihrer Stadt eingehend reklektieren können.