Gestern veröffentlichte die Internationale Energie-Agentur IEA ihren World Energy Outlook 2014 (WEO). Das Opus wird oft gelobt, weil es die grossen Energie-Herausforderungen unserer Welt prägnant erfasst – auch wenn dafür über 700 Seiten benötigt werden. Oft wird der WEO falsch verstanden, als ob die Entwicklungen bis 2040 mit dem WEO vorprogrammiert würden. Manche werfen ihm „Fehlprognosen“ oder die Bevorzugung dieser oder jener Technologie vor. Die Welt 25 Jahre im Voraus zu modellisieren, ist bestimmt nicht einfach. Wer hat vor 25 Jahren das Internet kommen sehen? Vor 10 Jahren den Boom der erneuerbaren Energien? Oder vor noch weniger Jahren den Schiefergas-Boom?
Doch der WEO 2014 sendet viele Botschaften, die – egal, ob sie sich bewahrheiten – zum Denken anregen.
Drei davon:
- Die Welt ist auf einem 3,6°C Klimakurs. Die Botschaft ist nicht neu. Doch scheint es mit jedem verstreichenden Jahr für den WEO schwieriger zu werden, Hoffnung für eine Kurskorrektur auf die klimapolitisch vorgeschriebenen 2°C zu vermitteln. Deutlich ist der Appell des WEO, dass die Dekarbonisierung politisch gewollt sein muss. Nur auf Technologien oder sonstige Ereignisse (etwa Schiefergas oder Rezession) zu setzen, reicht nicht aus.
- Die Welt und die Energieversorgung werden nicht sicherer. Das führt uns nicht nur die Ukraine vor Augen. Punkto Erdöl kreist mittelfristig alles um den Mittleren Osten, der wieder zum entscheidenden
- Versorger aufsteigen wird. Von Afrika, das mit fossilen und erneuerbaren Energieressourcen gesegnet und dem ein WEO-Kapitel gewidmet ist, geht ein anderes Risiko aus: Zwei Drittel der afrikanischen Bevölkerung haben keinen Zugang zu Energie und somit kaum Chancen auf wirtschaftliche Entwicklung. Ferner warnt die IEA, dass noch kein Land ein Endlager für radioaktive Abfälle in Betrieb genommen hat und dass die bevorstehende Stilllegung von rund 200 Kernkraftwerken mit erheblichen Unwägbarkeiten behaftet ist.
Industriestaaten, besonders Europa und damit auch die Schweiz, liegen immer mehr auf einem andern Energieplaneten als der Rest der Welt. Hier stagniert die Nachfrage, dort wächst sie stetig. Aufhorchen lässt aber die Aussage, dass auch Chinas Energiehunger nach 2030 sich stabilisieren wird. Die Industriestaaten sorgen sich um Markt-Design, Energiekosten ihrer Industriestandorte, manche klagen über Subventionen für erneuerbare Energien. Hingegen ist in vielen aufstrebenden Ländern Energiemarkt ein missbräuchlicher Begriff, da Preise reguliert werden, Monopole dominieren und Subventionen für Fossile staatliche Budgets wegfressen. Die Welt wird mehr Gas fördern, einzig Europa nicht. Kernkraft ist vielerorts eine Option (Voraussetzung sind allerdings Beihilfen), nur in einer Handvoll Staaten nicht. In der Schweiz betrachten wir Gebäude und Verkehr als die grossen klimapolitischen Herausforderungen. Für die aufstrebende Welt ist es primär der Stromsektor.Man kann sich leicht im WEO verlieren – trotz Hunderter anschaulicher Grafiken und der Gabe des WEO, aus einem Statistik-Tsunami eine „Story“ zu machen. Für die Schweizer Leserschaft eröffnet sich eine andere Welt, gewohnte Schwerpunkte verlagern sich, neue Blickwinkel werden erschlossen. Ein anregender Hintergrund für unsere Energiestrategie 2050.
Jean-Christophe Füeg, Leiter Internationales Bundesamt für Energie
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