Fokus Wirtschaftsverkehr: Herausforderung für Städte und Agglomerationen
Pizzakurier oder Liftmonteurin, Taxifahrerin oder Pöstler: Sie alle erbringen ihre Dienstleistung mit einem Fahrzeug. Eine Grundlagenstudie des Bundesamts für Raumentwicklung ARE in Zusammenarbeit mit den UVEK-Ämtern für Strassen (ASTRA), Verkehr (BAV), Umwelt (BAFU) und Energie (BFE) zeigt die Bedeutung dieses Wirtschaftsverkehrs in urbanen Räumen auf. Was lässt sich aus den Ergebnissen punkto Energieverbrauch und Immissionen ableiten, und welche Schlüsse ziehen die Verantwortlichen daraus. Energeiaplus hat bei Projektleiterin Franziska Borer Blindenbacher vom ARE nachgefragt.
Energeiaplus: Der Onlinehandel boomt. Einkäufe aller Art lassen sich die Leute nach Hause liefern. Das führt auch zu Mehrverkehr auf den Strassen – vorab in Städten und Agglomerationen. Ist der Wirtschaftsverkehr vor allem ein Problem für die Städte?
Franziska Borer Blindenbacher: Wirtschaftsverkehr findet überall statt. Aber die Platzverhältnisse, also die für den fahrenden und ruhenden Verkehr nutzbaren Flächen sind in der Stadt und den Agglomerationen besonders beschränkt. Alle wollen den gleichen Raum nutzen: Von den zu Fuss Gehenden, mit Rollator oder Babywagen, den Automobilisten, Mofa- und Velofahrenden bis zu den Paketauslieferungsdiensten etc.
Gerade bei den Lieferdiensten sieht man immer häufiger E-Fahrzeuge. Aus Sicht Endenergieverbrauch und im Hinblick auf die längerfristige Klimaneutralität ist ein positives Zeichen. Die entsprechende Marktentwicklung der Leichtnutzfahrzeuge ist im Gang. Trotzdem haben die Studienverfasser hier Handlungsbedarf geortet. Welchen?
E-Fahrzeuge produzieren beim Fahren zwar kein CO2, sie lösen die angesprochenen vielfältigen Flächenprobleme jedoch nicht…
Tempo 30, Fahrbahnverengungen (eine statt zwei Spuren fürs Auto), Reduktion von Parkplätzen: Die Städte tun viel, um den Verkehr zu regulieren. Das Programm EnergieSchweiz unterstützt zudem Pilotprojekte, welche energieeffiziente aber auch raumschonende Citylogistik-Lösungsansätze (Velolieferdienst, Paketstationen, microhub, usw.) ausprobieren. Löst dies das Problem des Wirtschaftsverkehrs in den Städten? Sagt die Studie etwas dazu?
Richtig, die Städte tun schon einiges für die Regelung des Verkehrs. Die Studie identifiziert aber noch weitere Bereiche, wo von Behörden und Wirtschaft gemeinsam erarbeitete Lösungen Erleichterung schaffen könnten. Etwa zur Frage, ob der Wirtschaftsverkehr gezielt gesteuert oder gar priorisiert werden soll, um den Verkehrsfluss zu verbessern. Der Bund will sich dieser Thematik künftig verstärkt widmen und mit seinen Instrumenten zu einem guten Funktionieren des Wirtschaftsverkehrs beitragen.
Wirtschaftsverkehr bezeichnet Ortsveränderungen von Gütern und Personen, die für geschäftliche oder dienstliche Zwecke stattfinden. Dabei stehen die Ver- und Entsorgungsdienstleistungen für Wirtschaftseinheiten in Handel, Gewerbe und Industrie oder im öffentlichen Dienst im Vordergrund.
Die Segmente des Wirtschaftsverkehrs werden nicht durch die eingesetzten Fahrzeuge definiert, sondern primär durch den treibenden Akteur. Das wichtigste Identifikationsmerkmal des Wirtschaftsverkehrs ist, dass eine geschäftliche oder dienstliche Zielsetzung verfolgt wird. Der Weg eines Arbeitnehmers zu seinem Arbeitsplatz ist hierbei explizit ausgeschlossen.
Wirtschaftsverkehr ist ja nicht gleich Güterverkehr. Warum braucht es diese Grundlagenstudie zum Wirtschaftsverkehr überhaupt?
Erstmals liegt nun ein Überblick vor, welche Formen des Wirtschaftsverkehrs es überhaupt gibt. In der öffentlichen Diskussion wird meist nur der Güterverkehr wahrgenommen. Dabei geht der Dienstleistungsverkehr (Spitex-Dienste, Handwerkerfahrten etc.) sowie der Personenwirtschaftsverkehr (Taxis etc.) ganz vergessen. Die stehen dann alle im gleichen Stau oder haben dieselben Schwierigkeiten, eine Abstellfläche zu finden.
16,5 Prozent der Fahrleistungen entfallen auf den Wirtschaftsverkehr. Wie ist diese Zahl zu werten? Auf den ersten Blick scheint dies nicht viel zu sein.
Diese Zahl ist eine grobe und vorsichtige Abschätzung, da es eben bis anhin keine Grundlagen zu den verschiedenen Segmenten des Wirtschaftsverkehrs gibt, auch im Ausland nicht gemäss unseren Recherchen. Zu bedenken ist, dass hinter dieser Zahl wirtschaftliche Aktivitäten stehen, die zur Folge haben, dass wir unsere Bestellung ins Haus geliefert kriegen, die Regale in den Einkaufsläden gefüllt sind, unser Müll entsorgt wird und die Industrie die nötigen Materialien geliefert bekommt und Produkte auch rechtzeitig ausliefern kann.
Welche Handlungsempfehlungen ergeben sich aus der Grundlagenstudie?
Sicher ganz wichtig ist der oben bereits erwähnte Dialog zum Wirtschaftsverkehr mit Städten und Kantonen, der intensiviert werden soll. Dies ist auch im Programmteil des Sachplans Verkehr festgehalten, den der Bundesrat am 20. Oktober genehmigt hat. Die dort geplanten Handlungsraumgesprache bieten den Rahmen, zusammen mit den betroffenen Akteuren die Belange des Wirtschaftsverkehrs intensiv zu diskutieren. Die Konkretisierung zielführender Massnahmen soll auch in den bestehenden Agglomerationsprogrammen des Bundes vermehrt genutzt werden.
Übersicht über Hauptzweck und Beförderung in den einzelnen Wirtschaftsverkehrssegmenten
Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
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